: La Bretagne pittoresque!
■ Wie man damals reiste, badete und wartete / Eine Plakatausstellung
Eine Spinnerin hockt auf einem Stein am Gestade und blickt melancholisch in die Landschaft der Normandie. Ein draller Dudelsackpfeifer spielt einer ländlichen Schönen vor. Kutschen arbeiten sich durchs Watt zum berühmten Mont St. Michel. Eine junge Frau, das Badekostüm läßt Wade und Oberarm frei, steckt eine Fußspitze in den Atlantik.
Bilder, von unterschiedlichem künstlerischen Wert, und Werbung zugleich: Was derzeit die Wände des Institut Francais dicht an dicht füllt, sind alte französische Eisenbahnplakate vom Anfang dieses Jahrhunderts, von 1894 bis in die 30er Jahre. Gedacht, den wartenden Reisenden zu unterhalten und auf aufregende Sonderangebote für die Ferienreise in die Normandie oder die Bretagne hinzuweisen, pflasterten diese Plakate damals die Wände der Wartehallen der diversen Eisenbahngesellschaften.
Dem heutigen Betrachter können die Plakate etwa der Chemins de fer de l'ouest viel über die Kulturgeschichte des Reisens erzählen. Zielgruppenforschung ergab damals: Reisen ist ein bourgeoiser Spaß. Bezahlten Urlaub gab es noch nicht. Also bildeten die hauseigenen Künstler der Eisenbahngesellschaften Herrschaften in Kutschen, Casinos und mit Sonnenschirm beschützte Damen ab; dazu in eleganter Schrift Hinweise auf kulturelles Vergnügen: Oper, Operette, Theater.
Nach dem Krieg, in den 20ern, wird Natur interessant: La Bretagne pittoresque! Romantisierende Darstellungen der Küste und des Landesinneren füllen die Plakate; das Interesse an Folklore nimmt zu. Tracht und Tanz werden beliebte Sujets.
Mit dem Automobil gibt es die Möglichlichkeit von excursions ins Landesinnere. Sehenswürdigkeiten wie Kathedralen und historische Kultstätten rücken in den Mittelpunkt. Auch Kreuzfahrten mit wunderschönen Seglern und Dampfern werden jetzt angeboten.
Plantschen im Wasser ist unfein, schwimmen kann kaum jemand. Selten tummeln sich bunt Geringelte im flachen Wasser. In den 30ern wird das Reisen billiger und geht schneller, d.h. von Paris in die Bretagne dauerte es keine acht Stunden mehr! Jetzt sind auch einkommensschwachere Schichten anzusprechen, und auf einem Plakat von 1928 erblickt man erstmals braungebrannte Burschen, die am gelben Sandstrand Sport treiben (Bockspringen). Die Badekostüme werden ebenfalls gewagter, Einteiler geben den Blick auf bloße Hüften frei.
Die Sprache der Werbung wird im Laufe der Zeit immer einfältiger. Mußten um die Jahrhundertwende noch Texte zur Erklärung herhalten, bleibt zuletzt die knallige Farbe als Informationsträger über, ein paar Farbkleckse genügen, Sonne, Sand und Glück zu versprechen.
Die Zeit, die das Studium der schönen alten Eisenbahnplakate brauchte, hat ja nun heute keiner mehr. Allerdings könnte man bei den neuerdings üblichen Verspätungen auf Bahnhöfen und Flughäfen auf die Idee kommen, daß für die Zukunft eine neue Kultur des Wartens zu entwickeln wäre. Ruhig in der Tradition der französischen Eisenbahnplakate.
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