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Grüne brauchen wetterfeste Organisation

■ Neue Studie über die Grünen untersucht die Krise der Partei/ Chancen für einen Neubeginn sind nicht ausgeschlossen/ Strömungspolitik als „das grüne Grundproblem“/ Strategiewechsel ist angesagt: die Vielfalt akzeptieren und von einer Mißtrauenskultur zu einer Kooperationskultur kommen

Reicht die Niederlage bei der Bundestagswahl im Dezember, wo die Grünen 40 Prozent ihres Klientels und ihre parlamentarische Verankerung verloren, um das Steuer umzureißen?

Diese Frage steht am Anfang der bislang gründlichsten und weitreichendsten Studie zur Politik und Zukunft der Grünen des Hamburger Politikwissenschaftlers Joachim Raschke. Raschke setzt voraus, daß der Rettungsversuch der Grünen nicht nur auf guten Willen, sondern auf eine schlüssige und schonungslose Analyse angewiesen ist. Nach jahrelangen Recherchen, vielen Gesprächen, mehr als 50 Interviews und intensiver Parteitagsbeobachtung hat Raschke das „grüne Grundproblem“ ausgemacht: Die verkorkste Politik der zerstrittenen und teilweise verhaßten Strömungen hat sich als Sackgasse erwiesen. Der Radikalismus als Dauerhaltung und Programmersatz, der Mythos der Bewegungspartei, die Basisdemokratie sans phrase, der Nichts-als-Pragmatismus, gefährden die (parlamentarische) Existenz der Grünen.

Weil aber gleichzeitig die Aufgaben und Herausforderungen, die zum Aufstieg der Grünen führten, immer noch unerledigt sind und die Grünen ihre Potentiale in der Risikogesellschaft längst nicht ausgeschöpft haben, sieht der Autor Chancen für einen aussichtsreichen Neubeginn. Die Eckpunkte des neuen grünen Bauplans heißen Ortsbestimmung, Strukturreform und Strategiewechsel — der Umbau von einem Schönwetter-Modell hin zu einer wetterfesten Organisation.

Ein zentrales Ergebnis der Grünen- Studie lautet: Die Mobilisierung von Mitgliedern und Sympathisanten erfolgt passiv und exclusiv.

Sie ist ressourcenschwach, diskontinuierlich und meist reaktiv. Zudem gelingt es den Grünen nicht Bindungen herzustellen. Am Beispiel Hessen ist belegt, daß ein knappes Drittel der Wähler in den vergangenen zehn Jahren irgendwann grün gewählt hat. Trotzdem konnte die Bindungsfähigkeit der Grünen die 10-Prozent-Marke nicht überschreiten. Ein Grund dafür ist der gravierende Mangel an Personalisierung, also an Persönlichkeiten, die die möglichen grünen Wähler auch in einem Formtief binden.

Die äußerst schwachen, oft zufälligen Parteistrukturen und die bewußte Ignoranz gegenüber qualifizierter sozialwissenschaftlicher Beratung verschärfen das Krisen-Scenario der Grünen noch.

Die Grünen sind nach Raschkes Analyse fehlstrukturiert. Die tragenden Parteistrukturen, Basisdemokratie und Bewegungspartei verfehlen die Anforderungen von Wählern und Sympathisanten. Zugespitzt heißt das: Die grüne Partei muß von ihrer Mißtrauenskultur zu einer Kooperationskultur kommen. Mit einer Institutionalisierung von Offenheit, der Verstetigung von Verhandlungen mit dem Ziel, die Vielfalt von Problemen und Interessen zu handlungsfähigen Optionen zu verarbeiten, könnte das grünen Kontrolldenken abgebaut werden.

Dies gilt auch für die insgesamt gescheiterte Praxis der Basisdemokratie. Sie führte zu schematischer, personenfixierter Vorweg-Kontrolle und vernachlässigte so eine sinnvolle, gezielt an politischen Inhalten orientierte Kontrolle. Die Tatsache, daß einfache Delegierte auf Bundesparteitagen nur über 24 Prozent der gesamten Redezeit verfügen und im Schnitt nur 8 Prozent der Basisvertreter auf einem Parteitag zu Wort kommen, zeigt den Mythos der Basisdemokratie. Der Wechsel zwischen den Parteitagen verhindert eine kontinuierliche Begleitung. Bei sechs Parteitagen zwischen 1983 und 1987 waren 75 Prozent aller Delegierten nur einmal, 18 Prozent zweimal vertreten.

Die Zwangsrotation, mittlerweile auf acht Jahre verlängert, vergraulte bei den Grünen zudem wichtige Spitzenpolitiker. Die Absurdität der Rotation wirkt sich besonders auf kommunaler Ebene aus. Hier ist die Rotation schon lange abgeschafft.

Denn sonst könnten die Grünen ihre Mandate überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Weil die Basisdemokratie nicht mehr Teilhabe, mehr Effizienz und mehr Transparenz gebracht hat, schlägt Raschke einen Strategiewechsel hin zu einer „professionellen Rahmenpartei“ vor. Dieser auf die Besonderheiten der Grünen zugeschnittene neuartige Parteityp ist im Gegensatz zu den staatsorientierten Volksparteien gesellschaftsorientiert. Dem postmateriell eingestellten Klientel der Grünen, das durch plurale Lebensstile und vielfältige Lebenswelten geprägt ist, müssen zeitlich und thematisch begrenzte Mitwirkungschancen und Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeräumt werden, jenseits von Parteimitgliedschaft und langweiligen, stressigen Versammlungen. Auf die individuell geprägten Zeitbudgets, Engagementbereiche, Interessen, Kompetenzen und Rollen müsse sich die Grünen besser einstellen, vorausgesetzt: sie wollen überleben.

Dieser neue Politikstil darf nicht nur toleriert, er muß — so Raschke — offiziell und aktiv legitimiert werden. Eine Organisationsreform an Haupt und Gliedern muß diesen neuen Parteityp begleiten. Die oft auseinanderstrebenden zentralen und föderalen Organisationsteile der Grünen müssen aufeinander bezogen und miteinander verzahnt werden; nur so können gemeinsame Aufgaben und Ziele erreicht und der Bruch zwischen Partei und Fraktionen gekittet und die Themenkonkurrenz überwunden werden.

Die föderative Komponente muß in der gesamten Struktur der Partei stärker beachtet werden. Die angestrebte Umwandlung des nicht ausreichend legitimierten und falsch zusammengesetzten Bundeshauptausschusses zu einem Länderrat geht in diese Richtung.

Die Grünen müssen — so ein Ergebnis der Studie — professioneller arbeiten. Damit ist nicht die Bezahlung von gewählten Vorstandsmitgliedern, sondern die Steigerung professioneller Leistungsfähigkeit und eines funktionierenden — damit entlastenden — grünen Managements gemeint. Die Vorstände, Parteitage und Fraktionen müssen reformiert werden. Raschkes Anforderungsprofil an die neuen herausgehobenen Führungsfiguren sieht eine Interventionsfähigkeit nach außen und eine hohe Repräsentativität für die gesamte Partei vor. Eine Demokratisierung aller Entscheidungen und die unbedingte Verpflichtung zur Toleranz müßte diese Reformen begleiten. Die unterschiedlichen Quellen der Grünen — von Wertkonservativen über Liberale, Sozialisten, Anthroposophen, Christen oder Ökologen und Spirituellen — müssen toleriert und nicht mit Kadermethoden bekämpft werden. Die Vielfalt der Grünen soll also erhalten bleiben, nur müssen die Grünen lernen ihre Vielfalt tatsächlich zu akzeptieren. Die rivalisierenden Gruppen müssen sich auf Koexistenz verständigen, ohne dabei dem Druck ausgesetzt zu sein, ihre tief verwurzelte Teilidentität aufgeben zu müssen.

Gelingt es den Grünen, sich mit überschaubaren Strategien ihren Sympathisanten für themenspezifisches und zeitlich begrenztes Engagement zu öffnen, ihr politisiches Personal und ihre Organisation zu verstetigen, bei der Problembearbeitung Ausdauer und Verläßlichkeit zu zeigen und gleichzeitig kontinuierliche Kooperationsbeziehungen herzustellen, dann können sie ihre Krise als Chance zu einem Neuanfang nutzen.

Diese sehr kritische Analyse, die trotzdem eine optimistische Perspektive aufzeigt, prägt die 224seitige Studie der Grünen nach 10 Jahren. Die sozialwissenschaftliche Untersuchung ist präzise und fordert den Leser mit einigen komplizierten aber fruchtbaren Gedanken. Wer sie liest, lernt die Grünen von innen kennen. En passent gibt Raschkes Buch aber auch Einblick in die deutsche Parteidemokratie und die Defizite dieses Demokratiemodells, daß so auf Dauer nicht aufrechtzuhalten ist. Thomas Leif

Joachim Raschke: Die Krise der Grünen, Bilanz und Neubeginn. Hrsg. Forschungsgruppe Neue Soziale Bewegungen. Schüren Presseverlag, Marburg 1991

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