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EINSICHTEN UND ANSÄTZE

■ Von der Kritik des Elends zum Elend der Kritik

Von der Kritik des Elends zum Elend

der Kritik. Eine Buchbesprechung

VONGERHARDARMANSKI

Wer positiv sein will, hat es schwer. Flugs gerät er auf Fährten, die er vielleicht gar nicht vorhatte; leicht heulen ungebetene Wölfe mit ihm — auch wenn es sich um ein „sanftes“ Thema handelt. Dieter Kramer trägt aus mehr als einem Jahrzehnt zusammen, was er und andere tourismuskritisch zu sagen haben. Abgesehen davon, daß sich die Texte gelegentlich überschneiden und wiederholen, läßt sich zu bedächtig und zuweilen schwerfällig vorgetragenen Wahrheiten leicht nicken. Kramer will jedoch nicht nur wieder einmal die zerstörerischen Seiten des Tourismus anprangern, sondern konkrete Veränderungsstrategien aufzeigen. Er analysiert einen tourismuspolitischen „Paradigmenwechsel“: von der Analyse zu praxisnahen Konzepten.

In diesem Sinne entfaltete er einen Strauß von Einsichten und Ansätzen eines umwelt- und sozialverträglichen Tourismus, die sehr lesens- und bedenkenswert sind. Reisen ist ein Zweig der allgemeinen Kultur, so führt er aus, unverzichtbar, nicht ohne Chancen, aber auch reichlich von Schatten überlagert. Anknüpfend an innovative Experimente und Tendenzen von den Naturfreunden bis zur Tourismusindustrie propagiert er eine „Qualifizierung des Urlaubs“, „Mitverantwortlichkeit des Touristen“, Umbau des herrschenden Tourismus, kurz, eine „integrale und komplexe Tourismuspolitik“.

Als Hebel hierfür soll wohl eine Art kulturwissenschaftliche angeleitete und praktisch orientierte Tourismuspädagogik dienen. So seien die „Urlaubsansprüche zu thematisieren..., kontrollierbar und bewußt entwicklungsfähig zu halten“. Gekoppelt mit „hohen Standards“ der Tourismuspolitik könne das Ziel näher rücken. Worin das allerdings letztendlich bestehe, außer daß es empfehlenswert ist, schonend zu reisen, sagt Dieter Kramer nicht.

Allzu schnell wird er bloß apellativ. Seine eigene Voraussetzung der gesellschaftlichen und kulturellen Bindungen des Tourismus bleiben blaß. Es wird nicht deutlich, warum wie gereist wird, welche Dynamik und welche Zwänge dahinter stehen. Damit ist der tourismuskritische Begriff leicht in die touristische Wirklichkeit selbst, die der Autor oft anschaulich und materialreich schildert, eingebannt. Indem er sich induktiv fast ausschließlich aus der Sphäre gewinnt, die er auch kritisiert, verfällt er dem Problem, nur die gute, hoffnungsvolle Seite eines argen Unternehmens darzustellen.

Die Annäherung an eine Tourismusreform, die das ganze erträglicher gestalten will, kommt daher weniger aus der Praxissehnsucht des gedienten Kritikers als vielmehr aus der Methode selbst: Die Zusammenhänge, denen sich der Tourismus verdankt, unterzubelichten oder außen vor zu lassen.

Besonders gravierend wird dies bei der Achse, die den modernen Tourismus ausmacht: Bedürfnisse und Ökonomie. Kramer stellt den bejahten Wunsch nach Erholung und Freizeitkultur dem kommerziellen Feld entgegen, indem er sich verwirklichen will. Daß das Wünschen so unschuldig nicht ist, sondern Bestandteil oder Folge einer bestimmten herrschenden sozialen und psychischen Struktur, wird nicht thematisiert. Um so leichter erscheint dann zwar eine Veränderung des touristischen Verhaltens — aber um so trügerischer ist es auch. Kramer verfehlt nicht, auf die scharfen tourismuswirtschaftlichen Interessen hinzuweisen: Einmal bezeichnet er den Tourismus glattweg „als Bestandteil des Imperialsmus“. Er analysiert aber nicht, wie sich der ökonomische Druck mit dem psychischen verschlingt und einen Bastard gebiert, der „von der Erholung so weit entfernt ist wie vom Abenteuer“ (Irmtraud Morgner). Es ist schon blauäugig, die Marketingsensibilität einiger Tourismusmanager für Anzeichen einer Umkehr zu halten. An der Wucht des Schlages ändern sanfte Bandagen nichts.

Dieter Kramer: Tourismuspolitik. Aufsätze aus zwölf Jahren Tourismusdiskussion. Lit Verlag, Münster 1990.

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