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Ideen für die grosze Stadt

Die Ausstellung „Berlin morgen“ im Frankfurter Architekturmusuem  ■ Von Jörg Rheinländer

Konkrete Folgen, befürchtet Aldo Rossi, werde dieser Wettbewerb wohl kaum haben. Im Grunde sei es nicht einmal ein Wettbewerb. „Andere Geanken über Berlin, andere Aussagen über diese Stadt“, die will er schon machen. „Es gibt“, schreibt der Italiener zu seinem eigenen Beitrag, „nur den Versuch einer Interpretation der Stadt.“ So vage wie diese Formulierung waren auch die Vorgaben der Ausstellung. Und wenn es auch verwundert: Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Berlin morgen heißt die Präsentation im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt. Der Untertitel verrät, wohin der Blick schweift, um die Zukunft zu schauen. Ideen für das Herz der Groszstadt — Groszstadt mit „sz“: Das klingt wie zwanziger Jahre. Wie Kunsthauptstadt. Wie Schmelztiegel. Wie Menschenmeer. Wie Metropole Berlin.

Die lange geteilte Stadt ist mit dem Fall der Mauer mit einem Schlag wieder eins geworden — auf dem Papier. Doch so, wie die Menschen aus beiden Teilen Deutschlands werden lernen müssen, die Realität hinter der unsichtbaren Mauer zu begreifen, so werden die Teile Ost und West dieser Stadt noch viele Jahre benötigen, wieder zu einer architektonischen Einheit zusammenzuwachsen. Auch wenn einige ihnen die Zeit nicht gönnen wollen.

Mit der Wiederherstellung gekappter Straßenverbindungen, der Vernetzung des U- und S-Bahn-Netzes und dem Blick auf riesige Ödflächen im Zentrum Berlins ist allenfalls ein Startsignal gegeben.

Berlin morgen ist ein Projekt, das aus der Not geboren wurde. Der Not, schnell reagieren zu müssen. Denn so sehr dieser Prozeß des Zusammenwachsens städtebauliche Phantasie erfordert, so sehr kommt die behutsame Auseinandersetzung mit dem beginnenden Bauen momentan unter die Räder.

Immer mehr kommerzielle Architekten gehen in Berlin antichambrieren. Im Gepäck haben sie fertige Pläne, im Rücken zahlungskräftige Investoren. Was ihnen fehlt, sind allein die passenden Grundstücke. Doch die lassen sich schon finden. Das Rennen um das Filetstück Potsdamer Platz hatte der Autohersteller mit dem Stern schon gewonnen, bevor es noch richtig begonnen hatte.

Die sich abzeichnende Dynamik dieser Entwicklung mußte diejenigen auf den Plan rufen, die in anderen architektonischen Kategorien denken, als dies kurzfristige Kapitalinteressen zulassen. Im Architekturmuseum hat man so schnell reagiert wie nie zuvor. In weniger als drei Monaten (!) haben die Frankfurter eine Ausstellung arrangiert, die den rasanten Veränderungen Rechnung trägt.

Weil es in Berlin nicht um Stadtreparatur im Kleinen, nicht um Bauen in der Lücke geht, hat die Museumsleitung Architekten rund um die Welt gebeten, ihre Vorstellungen von der Zukunft der einzigen deutschen Metropole zu formulieren. Einzige Voraussetzung: Die Architekten mußten sich auch in der Vergangenheit schon einmal mit Berlin auseinandergesetzt haben. Einzige Vorgabe: Wenig Zeit, kein Geld. Gefragt waren prinzipielle Ideen für die Gestaltung des Stadtzentrums, nicht detaillierte Lösungen spezifischer Probleme. Es ging um urbane Leitlinien unabhängig von konkreten Bauvorhaben. Alle 17 eingeladenen Architekten ließen sich auf das Experiment ein, und heraus kam eine erstaunlich publikumsfreundliche Ausstellung. Das ist im Architekturmuseum nicht immer so.

Von Mario Bellini bis Robert Venturi: Die Pläne sind so vielgestaltig wie ihre Schöpfer unterschiedlich. Die erläuternden Texte pointieren prägnant die Vorschläge. Manchmal sind sie gar wichtiger als die graphische Umsetzung.

Entwürfe und Denkmäler

So zum Beispiel bei Aldo Rossis Annäherung Entwürfe und Denkmäler. „So wie deutsche Architekten eine italienische Reise unternahmen, so habe ich als Student Berlin durchstreift, und nie konnte mich jemand davon überzeugen, daß es für diese Stadt eine Architektur, eine Form gibt.“ Ein Satz, der Bestandsaufnahme und Programm in einem ist.

Rossis großformatige Vision reicht vom Leipziger Platz bis hinauf zum Brandenburger Tor. Lange Gebäuderiegel säumen die Straßen, die in den Potsdamer Platz münden. Sie enden in Hochhäusern als Kopfbauten, die einen städtebaulichen Kontrapunkt zum sich anschließenden Leipziger Platz schaffen. Dessen achteckige Bebauung macht Rossi mit Gebäuden in typisch Berliner Traufhöhe zum Denkmal für den Belle-Alliance-Platz.

Entwürfe und Denkmäler: Das sind Zitate aus der Architektur einer Stadt, in der Schinkel, Bruno Taut, Gropius und van der Rohe ihre Spuren hinterlassen haben. Selbst wenn man Rossis Vorstellungen nicht mag, dann bleibt doch sein Plädoyer für die Pluralität, die Vielfalt der Architektur. Die stünde einer demokratischen Metropole gut zu Gesicht. Erst recht im nächsten Jahrtausend.

Aldo Rossi oder Josef Paul Kleihues, der, ganz Pragmatiker, die Entscheidung für das Dienstleistungszentrum von Mercedes-Benz am Potsdamer Platz gleich in seinen Vorschlag miteinbezieht, sehen das Mauerareal als großen Bauplatz. Es gibt Architekten, die da ganz anderer Meinung sind.

Der Engländer Norman Foster zum Beispiel will den durch den Mauerabriß gewonnenen Stadtraum in einen Park verwandeln. Damit glaubt er, gleich zwei Ziele umsetzen zu können. Zum einen soll die Erinnerung an ein wesentliches Stück Berliner Geschichte nicht einfach getilgt werden. Wer da baue, wo die Mauer stand, der verstelle den Blick auf die Narben dieser Stadt. Zum anderen bestehe die einmalige Chance, einen Raum der Feindlichkeit und Aggression zu transformieren in eine Zone öffentlicher Begegnung. Frankfurt am Main mit seinen Wallanlagen und der Wiener Ring stehen seiner Idee Pate.

Solchen Vorstellungen von einem Masterplan für die Stadtentwicklung widerspricht John Hejduk vehement. Seine Idee ist die am radikalsten vom vorgegebenen Rahmen abweichende. Das „Potsdam Printers House“ heißt nur so: Die kleinformatigen Bauten mit Flach- und Pultdächern könnten überall in Berlin stehen, meint Hejduk, und der Stadt eine gänzlich andere Atmosphäre geben.

Sein Projekt ist gebauter Protest. Auf den Tuschzeichnungen sind die einzelnen Räume verbunden durch beinahe organisch wirkende Gangsysteme. Das Haus wird entkleidet: Die Räume sind Einzelbauten, die wie Pionierpflanzen sich ihr Terrain erobern. So realitätsfern diese Vorstellung auch ist, so anregend könnte sie sein: selbst dann noch, wenn man versuchte, sie maßstabgetreu zu vergrößern.

Museum Metropole

Ein Pilotprojekt ganz besonderer Qualität hat O.M. Ungers entworfen. Berlin scheint ihm mehr als andere Städte prädestiniert, Laboratoriumsfunktion für die Lösung neuer Probleme zu übernehmen. So, wie er aus der Gründerzeitvilla des Frankfurter Architekturmuseums ein „Haus im Haus“ gemacht hat, so möchte er in Berlin die Idee der „Stadt in der Stadt“ verwirklichen. Gezielt errichtete Bauten in Stadtteilen, die aus architektonischer wie sozialer Sicht heutigen Ansprüchen nicht mehr genügen: Wie Inseln sollen die aufgewerteten Gebiete in dem sie umgebenden Meer aus Stadt und — vor allem — Natur schwimmen.

Nicht allein das „Herz der Groszstadt“, sondern ebenso Kreuzberg und die südliche Friedrichstadt, der Prenzlauer Berg oder die Müllerstraße im Wedding könnten so ihren unverwechselbaren Charakter konservieren und dem Prinzip einheitlichen Bauens trotzen.

Im Zentrum aber, um Alexanderplatz und Museumsinsel herum, hinüber bis zum Brandenburger Tor und Reichstag, plant Ungers ein Museum im Großen. Mies van der Rohes expressives Glashochhaus als soziales Mehrzweckzentrum am Bahnhof Friedrichstraße, Adolf Loos' Hochhausentwurf für die 'Chicago Tribune‘ in Form einer dorischen Säule am Ende der Straße Unter den Linden, El Lissitzkys Wolkenbügel und der Leuchtturm von Alexandria: Ikonen der Architektur sollen in der Mitte der Stadt neue Identifikationen schaffen.

Das Nebeneinander der vielen Zentren im bestehenden Stadtsystem aber bleibt vordringlichste Aufgabe. „Nicht das Streben nach einer neuen Utopie“, schreibt Ungers, „sondern der Entwurf einer besseren Realität, nicht das Konzept einer anderen Welt, sondern die Verbesserung der vorhandenen und das sinnvolle Zusammenspiel heterogener Teile ist die Zukunft der Stadt Berlin.“

Bei aller Unterschiedlichkeit: Das ist der Tenor fast aller Entwürfe. Egal, ob sie die Mitte der Stadt betonen oder die polyzentrische Struktur verstärken wollen, egal, ob sie der grauen Friedrichstraße mit vorgehängten Neonlichtern Farbe einhauchen oder aus dem Kräfteparallelogramm der neu entstehenden Verkehrsadern die urbanen Kraftfelder entwickeln. Die Vision der Gestaltbarkeit dort, wo Gestaltungswillen existiert, steht im Vordergrund.

Das Architekturmuseum in der kleinen Großstadt Frankfurt hat dafür gesorgt, daß Baumeister der unterschiedlichsten Tradition und Herkunft über die Metorpole der Zukunft phantasieren. Schön wäre es, wenn ein wenig davon in die Köpfe der Entscheidungsträger in Berlin vordringen könnte. So sehr die Stadt potente Investoren braucht: Mehr noch benötigt sie Ideen.

Der Katalog Berlin morgen kostet 48,- DM. Die Ausstellung dauert bis zum 24. März.

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