: Fressen „Krokodile“ den Runden Tisch?
■ Morgen finden im westafrikanischen Benin die ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen statt
Berlin (taz) — Es war einmal ein Land, das hatte jahrzehntelang eine marxistisch-leninistische Regierung. Im Herbst 1989 ging die Bevölkerung auf die Straße, weil die Lebensbedingungen sich verschlechterten. Das Staatsoberhaupt gab nach und richtete einen Runden Tisch ein, welcher eine neue Verfassung schrieb und eine Übergangsregierung installierte.
Das Land gibt es noch. Es heißt Benin und liegt in Afrika. Morgen hält es Präsidentschaftswahlen ab — die ersten demokratischen seit der Unabhängigkeit.
Benin, etwa so groß wie die DDR, mit einer Bevölkerung von 4,5 Millionen Menschen, wird in Schwarzafrika als Modell der Demokratisierung angesehen. Die lokale Variante des Marxismus-Leninismus — aufgrund der endemischen Korruption „Laxismus-Beninismus“ genannt — hat einem noch unklaren Übergangszustand Platz gemacht, in dem sich erstmals politische Diskussionen entfalten können. In welche Richtung sich dieser Prozeß bewegt, ist noch nicht klar: Die Parlamentswahlen im Februar brachten keiner der vielen neuen Parteien eine Mehrheit. So werden die morgigen Wahlen zu einem Test.
Hauptkandidat ist der vor einem Jahr vom Runden Tisch („Nationaler Revolutionsrat“) eingesetzte neue Premierminister Nicéphore Soglo, ein ehemaliger Funktionär der Weltbank. Seine Aufgabe bestand zunächst einmal in der Wiederherstellung von Selbstverständlichkeiten: die Zentralbank verfügt wieder über Geld, die Staatsangestellten bekamen zum ersten Mal seit vierzehn Monaten ihre Gehälter ausgezahlt.
Eine Zeitlang sah es so aus, als würde sich ein geruhsamer Wahlkampf zwischen Soglo und einem Ex-Funktionär der ILO, Albert Tévoèdjré, entwickeln. Doch wenige Stunden vor Ablauf der Frist für die Aufstellung der Kandidaten entschied sich der seit 1972 regierende Ex-Diktator Mathieu Kérékou, ein Comeback zu versuchen. Kérékou konnte während der Zeit der Wende im Amt bleiben, nachdem er versichert hatte, er wolle sich schnellstmöglich in den Ruhestand begeben. Seine Kandidatur erweckt nun Mißtrauen.
Der Argwohn gegen die „Krokodile“ der Einheitspartei, welche durch ihren gefräßigen Zugriff auf die Staatsgelder das Land ruinierten, sitzt tief. Da die „Krokodile“ ihre zusammengeraubten Reichtümer behalten konnten, wird befürchtet, daß sie sich nun zu Wirtschaftshaien mausern könnten — mit allen ungünstigen Folgen. Benin ist Nachbar des Wirtschaftsriesen Nigeria, und seine Bevölkerung, Staatsbeamte eingeschlossen, lebt seit Jahren vom Schwarzhandel mit nigerianischen Waren — insbesondere Öl —, dessen Gewinne am Staat vorbeigehen. Um die Staatskassen zu füllen, ist Benins Regierung auf die Kooperation der Privatwirtschaft angewiesen. Gleichzeitig muß sie durch schärfere Kontrollen den Schwarzhandel unterbinden. Die Vielzahl kleiner Privathändler wird diesen von der internationalen Finanzwelt gewünschten Entwicklungsweg kaum überstehen. Am ehesten überleben diejenigen, die am meisten Fäden ziehen können. Und das sind immer noch die alten „Krokodile“. Dominic Johnson
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen