: Großbritannien weist Iraker aus
Weltweit beispiellose Maßnahmen weiterhin in Kraft ■ Aus London Ralf Sotscheck
Die britische Regierung hat bereits zwei Tage nach Beginn der „Operation Desert Storm“ gravierende Änderungen bei der Erteilung des Aufenthaltsrechts vorgenommen. Wie erst jetzt bekannt wurde, verweigern die Behörden seitdem sämtlichen irakischen Staatsbürgern das Aufenthaltsrecht oder die Verlängerung der Visa. Von dieser Maßnahme, die weltweit beispiellos ist, sind auch IrakerInnen mit unbefristeter Aufenhaltsgenehmigung betroffen: Falls sie Großbritannien vorübergehend verlassen, wird ihnen die Wiedereinreise verwehrt. Die AntragstellerInnen erhalten ein vorgedrucktes Schreiben: „Sie haben einen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis im Vereinten Königreich gestellt, aber sie sind irakischer Staatsbürger. Der Innenminister weist ihren Antrag deshalb zurück.“ Der 'Observer‘ berichtete vom Fall einer 82jährigen Kurdin, die gerade eine Operation überstanden hatte. Sowohl ihr als auch ihrem 53jährigen geistig behinderten Sohn wurde die Visaverlängerung verweigert. Ihr Enkel, der bereits seit 15 Jahren in England lebt, sagte: „Ich fühle mich wie eine Geisel.“ Die Betroffenen müssen das Land innerhalb von vier Wochen verlassen, falls sie nicht binnen 14 Tagen Berufung gegen die Entscheidung einlegen. Rechtsanwälte wiesen jedoch darauf hin, daß ein Einspruch zwecklos sei, da die Berufungsinstanz lediglich auf die allgemeingültige Anordnung des Innenministeriums verweise. Das Ministerium erklärte, daß zur Zeit nicht an die Aufhebung der Bestimmung gedacht werde. Man erwarte jedoch nicht, daß sie für immer bestehen bleibe. Ein Sprecher betonte außerdem, daß „aus humanistischen Gründen“ Ausnahmen möglich seien, falls das Innenministerium der Ansicht sei, daß „keine Gefahr für die nationale Sicherheit“ bestehe.
Die Rechtsanwältin Jane Coker bemerkte dazu: „Studenten müssen jetzt nicht nur nachweisen, daß sie genügend Geld haben, regelmäßig die Vorlesungen besuchen und ihre Examen bestehen, sondern sie brauchen noch einen zusätzlichen Grund — zum Beispiel eine Nierendialyse zweimal die Woche.“ Anne Owers vom Wohlfahrtsausschuß für Immigranten fügte hinzu: „Großbritannien bestraft eine ganze Bevölkerungsgruppe. Was soll das Gerede, daß wir nicht gegen das irakische Volk kämpfen? Sie sind alle betroffen.“ Selbst irakische Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre, die nach britischem Recht von der Meldepflicht ausgenommen sind, müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden. Owers beschrieb den Fall eines irakischen Ehepaares, deren Kinder im Alter von zwei und drei Jahren polizeilich registriert wurden, obwohl sie in England geboren sind. Coker hält die Begründung der „nationalen Sicherheit“ für vorgeschoben: „Das ist Teil der allgemeinen rassistischen Restriktionen, die darauf abzielen, Asylanten und Menschen aus der Dritten Welt von Großbritannien fernzuhalten.“ Coker glaubt jedoch, daß die betroffenen IrakerInnen vor europäischen Gerichten ihr Aufenthaltsrecht durchsetzen könnten, falls ihnen dafür Zeit gelassen würde. Nach ihrer Ansicht verstößt die Ausweisungspraxis sowohl gegen die Menschenrechte, als auch gegen die UN-Flüchtlingskonvention. Larry Grant, der einen irakischen Arzt mit britischem Stipendium vertritt, sagte: „Es ist erschreckend, daß diese Maßnahmen ohne Notstandsgesetzgebung eingeführt werden können, und niemand stört sich daran.“
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