„Ich kann schon wieder lachen“

Bei den III. Hallen-Weltmeisterschaften der Leichtathleten in Spanien sind Rekorde die Ausnahme  ■ Aus Sevilla Thomas Schwarz

Leichtathletik unter dem Dach — Sevilla bestätigte das einmal mehr — besitzt hohen Unterhaltungswert. Über 700 Sportler aus 82 Ländern erreichten teilweise mit Müh und Not den Sportpalast der andalusischen Metropole, denn das Chaos auf spanischen Flugplätzen hatte für Dauerverspätungen gesorgt. Nicht auszudenken, wenn sich ähnliches im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen in Barcelona oder der Expo'92 in Sevilla wiederholt. Die sprichwörtliche spanische Improvisationskunst hilft längst nicht mehr.

Die dritten leichtathletischen Titelkämpfe in der Halle muß man differenziert betrachten. Die USA zum Beispiel erschienen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit einer namenlosen Mannschaft. Auch die Briten hielten sich zurück, sieht man davon ab, daß Europameister Linford Christie zur Silbermedaille sprintete. Der 22jährige Andre Cason wurde schnellster Hallenläufer der Welt, „Turbo“-Ben Johnson lief noch nicht auf Hochtouren und wurde Vierter.

Die Afrikaner kamen mit kleinen, aber durchaus schlagstarken Teams. Wenn man nur an den Algerier Nourredine Morceli denkt, der ein Wunderläufer der 90er Jahre werden könnte. Ein 1.500-Meter-Duell zwischen ihm und einem gesunden Marokkaner Said Aouita in der Freiluftsaison wird ein Schmeckerchen besonderer Art. Aouitas Landsmann Boutayeb schonte sich im 3.000-Meter-Vorlauf überhaupt nicht und lief bereits dort Weltjahresbestzeit.

Erstaunlich gut vorbereitet erschien die sowjetische Mannschaft. Nicht nur Neu-Berliner Sergej Bubka mit seinem Sechs-Meter- Sprung und einem zwar vergeblichen, aber guten Versuch über die Weltrekordhöhe von 6,10 Meter, brachte sich in die Schlagzeilen. Vor allem in der sowjetischen Frauenleichtathletik scheint ein neuer, schneller Wind zu wehen. Jelena Naroschilenko bezwang die Französin Ewanje-Epee im Hürdensprint. Irina Sergejewa stürzte die Medienstars Merlene Ottey (Jamaika) und Katrin Krabbe in die sportliche Bedeutungslosigkeit. Krabbe, die nach einem verunglückten Start „keinen Blumentopf mehr gewinnen konnte“, hielt sich der Schmerz in Grenzen: „Ich ärgere mich nicht, ich kann schon wieder lachen.“

Unübersehbar blieb allerdings in vielen Disziplinen das geringe Leistungsniveau. Hat sich in der Leichtathletik endgültig der saubere Athlet durchgesetzt? Ist das Doping-Zeitalter schon Geschichte? Es wäre schön, doch: „Die Worte hört ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Bei den Weltmeisterschaften in Rom 1987 übersprangen noch zwölf Athleten im Weitspung die acht Meter. In Sevilla waren es noch zwei. Die Leichtathletik scheint sich auf einem niedrigeren Niveau einzupegeln, Weltrekorde bleiben die Ausnahmen.

Und die Deutschen? Sicher bleibt die Leichtathletik eine Individualsportart. Dennoch beflügelt der gute Geist in einem Team jeden Sportler. Unter diesem Aspekt darf mit gewissen Einschränkungen von einer gut harmonierenden deutschen Mannschaft gesprochen werden. Kein Wort des Vorwurfs an eine müde Katrin Krabbe oder die anlaufschwache Heike Drechsler. Es gibt noch genügend Siegertypen, um solche Enttäuschungen zu verkraften.

Die Berlinerin Beate Anders darf für sich in Anspruch nehmen, erste deutsche Leichtathletik-Weltmeisterin nach der Vereinigung zu sein. Sie selbst schien von diesem Vorgang am wenigsten berührt: „Ich kämpfe hier für mich selbst und für meinen Trainer.“ Immerhin hat sie für ihre Disziplin, das oft belächelte Frauengehen, mit Goldmedaille und Weltrekord geworben.

Heike Henkel und Dietmar Haaf sind der besondere Stolz des DLV. Doch ob sie sich in der Rolle des Vorzeigeathleten wohlfühlen, bleibt zumindest fraglich. Auf jeden Fall besticht ihre Beständigkeit. Der ausgeglichene Kornwestheimer Haaf übersprang bis auf die Veranstaltungen in Paris und Karlsruhe stets die acht Meter in der Hallensaison. Im Freien sollte dann auch ein 8,30-Meter-Satz möglich sein. Bei einem Firmenpraktikum in Tokio hat sich Haaf im Herbst 1990 schon einmal die Wettkampfstätten in der japanischen Metropole angeschaut: „Die Weltmeisterschaften locken mächtig.“

Wettkampfstabil auch Heike Henkel, die immer noch den Sieg vor den Rekord setzt. Ehemann Rainer hat übrigens seine Schwimmlaufbahn beendet. Der Ex-Doppel-Weltmeister wird sich künftig an Auto-Langstreckenrennen beteiligen. Auch einen Start bei den „24 Stunden von Le Mans“ ist geplant. „Das ist ungefährlicher als Fahrten auf der Autobahn“, meint die überhaupt nicht ängstliche Gattin Heike.

60 m: 1. Cason (USA) 6,54 s, 2. Christie (Großbritannien) 6,55, 3. Imoh (Nigeria) 6,60, 4. Johnson (Kanada) 6,61. 1.500 m: 1. Morceli (Algerien) 3:41,57 min. 60 m-Hürden: 1. Foster (USA) 7,45 s, 2. Kasanow (UdSSR) 7,47, 3. McKoy (Kanada) 7,49. Weit: 1. Haaf (Kornwestheim) 8,15 m. Stabhoch: 1. Bubka (UdSSR) 6,00 m; Kugelstoßen: 1. Werner Günthör (Schweiz) 21,17 m.

Ergebnisse: Männer

Frauen

60 m: 1. Sergejewa (UdSSR) 7,02 s, 2. Ottey (Jamaika) 7,08, 3. Allen (Kuba) 7,12 ... 6. Krabbe (Neubrandenburg) 7,20. 60 m-Hürden, 1. Naroschilenko (UdSSR) 7,88 s, 2. Ewanje-Epee (Frankreich) 7,90. 3.000 m Gehen: 1. Anders (Berlin) 11:50,90 min (Hallen-Weltrekord), 2. Saxby (Australien) 12:03,21. Weit: 1. Bereschnaja (UdSSR) 6,84 m, 2. Drechsler (Jena) 6,82. Hoch: 1. Henkel (Leverkusen) 2,02 m, 2. Bykowa (UdSSR) 1,97, 3. Balck (Schwerin) 1,94.