piwik no script img

„Wenn eine Maschine nicht läuft, muß sie geölt werden“

Transnuklear-Prozeß: Syndikatähnliche Zustände bei der Hanauer Atomtransportfirma/ Verteidiger wollen Toten als Hauptschuldigen darstellen/ Ganz nebenbei erfahren die konsternierten Prozeßbeobachter in Hanau, daß es im AKW Würgassen mehrfach zu „Brennstabdefekten“ gekommen ist  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Hanau (taz) — Der Prozeß gegen die Atommüll(ver)schieber und Schwarzkassenverwalter der hessischen Atomspeditionsfirma Transnuklear vor der Wirtschaftsstrafkammer des Hanauer Landgerichts geht in die vierte Woche. Die Staatsanwälte Geschwinde und Popp haben in akribischer Kleinarbeit Beweismaterial gegen die Angeklagten Vyghen, Knackstedt, Bretag und Christ gesammelt und auf rund tausend Seiten schriftlich fixiert. Die Hanauer Wirtschaftsstrafkammer hat den Staatsanwälten — in Absprache mit den Anwälten der Angeklagten — alle die Anklagepunkte gestrichen, die sich nicht mit den vagabundierenden Atommüllfässern oder mit der ominösen Schwarzkasse der Manager der Transnuklear beschäftigen. Schon zu Prozeßbeginn forderten AKW-Gegner aus Frankfurt denn auch die umgehende Einstellung des gesamten Verfahrens — „wegen Lächerlichkeit“.

In der Tat kamen die „Schlüsselfiguren“ — unter anderem die Ex-Nukem-Geschäftsführer Hackstein und Stephany — sowie weitere in die Affäre verwickelte Nadelstreifentäter aus dem Umfeld der Transnuklear teilweise mit Geldbußen von 40.000 beziehungsweise 50.000 DM davon.

Die vier Atommanager aus dem Bereich „Abfall“ der Transnuklear, gegen die seit dem 6. Februar in Hanau wegen zahlreicher Verstöße gegen das Strafgesetz, das Atomgesetz und die Strahlenschutzverordnung verhandelt wird, werden vor Gericht von acht Anwälten vertreten. Gut die Hälfte der Advokaten war bereits für die Managerkollegen der Alkem und für die hochrangigen Mitarbeiter der hessischen Atomaufsichts- und Genehmigungsbehörde tätig, die sich vor zwei Jahren wegen der illegal erteilten Vorabzustimmungen vor Gericht zu verantworten hatten. Sie gelten als „materiensicher“ — und entsprechend selbstsicher treten sie gegen die beiden braven Provinzstaatsanwälte Geschwinde und Popp an.

Die Strategie der acht Anwälte zeichnete sich schon nach den ersten beiden Verhandlungstagen ab: Die unsachgemäße Entsorgung und Behandlung des von der Transnuklear zur Konditionierung nach Mol in Belgien verbrachten Atommülls könne nur den Managern des belgischen Entsorgungszentrums angelastet werden. Und für die Schwarzkasse der Transnuklear, mit der leitende Angestellte diverser Atomkraftwerke der Republik bestochen wurden, habe der durch Suizid aus dem Leben geschiedene TN-Abteilungsleiter Hans Holz die Hauptverantwortung getragen. Ob die Anwälte der Angeklagten ihre Prozeßstrategie bis zu den Plädoyers beibehalten können, wird davon abhängen, was die Staatsanwaltschaft an gerichtsverwertbarem Beweismaterial tatsächlich vorzuweisen hat. Aus einem der taz zugespielten polizeilichen Vernehmungsprotokoll des toten Holz geht jedenfalls hervor, daß die „agressive Aquisition“ von Aufträgen für die Transnuklear — im Klartext die Ausschüttung von Bestechungsgeldern und Geschenken — zwischen der Transnuklear und der Atommutter Nukem abgesprochen war. Holz erwähnte ausdrücklich die Nukem-Geschäftsführer Stephany und Hackstein, und zitierte Hackstein mit dem Ausspruch: „Wenn eine Maschine nicht läuft, muß man sie eben ölen.“ Hackstein saß im Aufsichtsrat der TN. Im übrigen seien die „Transaktionen“ der TN aus der Nukem heraus direkt gesteuert worden, so Holz. Allerdings habe der Hauptangeklagte im laufenden Prozeß, TN-Geschäftsführer Vyghen, mehrfach Anweisung gegeben, darüber keinerlei Aufzeichnungen anzufertigen.

Damit sich die Geschäfte der TN wie geschmiert entwickeln konnten, gründete Transnuklear 1980 eine sogenannte Arge — die Arbeitsgemeinschaft TN/KAH-Kraftanlagen AG Heidelberg. Mitarbeiter der TN und der KAH sollen für die Arge Konten in der Schweiz eröffnet haben. Mit fingierten Bestellungen und falschen Rechnungen wurden Gelder auf die Schwarzkonten gescheffelt — und die Idee dazu stamme von den Herren Schmidt (KAH) und Vyghen (TN). Bei der Gründung diverser Scheinfirmen habe von den in Hanau angeklagten Personen zumindest TN- Manager Knackstedt die Finger im Spiel gehabt. Auch der Angeklagte Christ soll — ebenso wie Knackstedt — mit den Kunden über „Zuwendungen“ verhandelt haben. Als die Summen immer größer und die Empfängerlisten immer länger wurden, berief Vyghen offenbar Christ zum Stellvertreter von Holz. Das Geld für seine Aquisitionen habe Christ entweder von Holz oder von Vyghen selbst erhalten. Nach den Aussagen von Holz soll der Angeklagte Bretag — der in Empfängerkreisen nur Betrag genannt wurde — vor allem „Sachgeschenke“ übergeben haben. Am Ende gab es für Aufträge aus den AKWs regelrechte Pauschalen, die an die „Vermittler“ in den AKWs ausgeschüttet wurden: „Für jeden Flüssigtransport wurden 3.000 DM, pro Kilo brennbaren Abfalls wurden 50 Pfennige und pro Kilo preßbaren Abfalls 10 Pfennige bezahlt.“

Daß die Nukem-Manager eigentlich mit auf die Anklagebank in Hanau gehörten, legte Holz am Ende seiner polizeilichen Vernehmung offen. „Kalkulationen“ von über einer Million DM hätten generell dem Nukem-Geschäftsführer Stephany vorgelegt werden müssen. Für alle Beträge darunter sei Vyghen verantwortlich gewesen. Zuletzt sei von der TN-Geschäftsleitung ein „Provisionsrahmen“ von maximal 2,5 Prozent des Auftragswertes festgelegt worden. Die großen Abkassierer waren die für atomare Abfälle zuständigen Abteilungsleiter in den AKWs der Republik — allen voran ein Herr Schacky von den RWE in Essen und ein Herr Ramcke von der Preußen Elektra. Ramcke warf sich nach der Aufdeckung des TN-Skandals vor einen Zug. Daß in die TN-Affäre auch andere renommierte Firmen der Republik verwickelt sind wie etwa die Firma Buderus, legte Holz in seiner polizeilichen Vernehmung gleichfalls offen.

Für die Anwälte der Angeklagten aber hat der tote Holz — um die eigene Haut zu retten — gelogen wie ein Bürstenbinder. Holz selbst, so der Tenor ihrer Einlassungen, sei der Hauptdrahtzieher der finanziellen Transaktionen gewesen. Und im übrigen seien kleine Geschenke an Auftraggeber in der deutschen Wirtschaft „durchaus üblich“. In Sachen illegaler Entsorgung von Atommüll hat die Staatsanwaltschaft eine Reihe von Zeugen aus den AKWs aufgeboten, die dem sogenannten Kränzchen angehörten — einem Arbeitskreis aus Entsorgungsspezialisten diverser AKWs und Mitarbeitern der TN. So sagte in der vergangenen Woche der Zeuge Hepp aus dem AKW- Würgassen aus, daß man sich in Würgassen klar darüber gewesen sei, daß man von der TN andere atomare Abfallstoffe zurückerhalten habe, als man der Firma zur Konditionierung im belgischen Mol überlassen habe. Auch seien diverse Aufträge zur Konditionierung von radioaktiven Materialien an die TN weitergegeben worden, obgleich den Auftraggebern bekannt war, daß der TN-Partner in Mol/Belgien diese Abfallstoffe — etwa strahlende Salzblöcke — nicht behandeln konnte. Das „Kränzchen“ hatte nämlich 1983 die Anlagen in Mol besichtigt. Damals sei man „entsetzt“ über die Zustände in Mol gewesen, berichtete Happ. Fässer mit radioaktivem Müll seien teilweise in Wellblechhallen untergestellt gewesen. Dennoch wurden von den AKWs weiter Aufträge an die TN und ihren Partner in Mol vergeben, auch für die Konditionierung solcher Atomabfälle, von denen man wußte, daß sie in Belgien nicht behandelt werden konnten. Daß diese meist flüssigen Abfälle dann einfach ins Meer oder in das Flüßchen bei Mol gekippt wurden, davon wollten die Mitglieder des „Kränzchens“ nichts gewußt haben. Von den Belgiern sei die Konditionierungsarbeit immer als „Betriebsgeheimnis“ deklariert worden.

So ganz nebenbei erfuhren die konsternierten Prozeßbeobachter in Hanau während der Befragung von Hepp, daß es im AKW-Würgassen mehrfach zu „Brennstabdefekten“ gekommen ist, nach denen Alpha- Aktivitäten im Verdampferkonzentrat festgestellt wurden. Um welche Alpha-Strahler es sich dabei handelte, konnte Hepp nicht sagen, denn in Würgassen verfügen die „Atomexperten“ über kein Alpha-Spektrometer. Der möglicherweise plutoniumverseuchte Abfall wurde „normal verarbeitet“ (Hepp) und von der TN nach Belgien geschafft. Der TN- Prozeß vor dem Hanauer Landgericht ist bis in den Frühsommer hinein terminiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen