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„Ich schäme mich, ein Juso zu sein“

■ Nach Beinahe-Eklat Juso-Kongreß doch noch zu Ende gebracht/Reformsozialist wird Vorsitzender, Grundsatzerklärung befürwortet sozialistische Gesellschaftsordnung mit marxistischen Versatzstücken

Potsdam (taz/dpa/ap) — Die Jungsozialisten in der SPD befinden sich auf der Höhe der Zeit. Auf ihrem Bundeskongreß in Potsdam haben sie sich am Wochenende mit knapper Mehrheit für den Entwurf einer politischen Grundsatzerklärung ausgesprochen, die auf einem demokratischen Sozialismus mit marxistischen Elementen aufbaut: „Sozialistische Politik ist praktisch notwendig, um die Destruktivität des gegenwärtigen Kapitalismus zu bändigen“, heißt es darin unter anderem.

Mit der programmatischen Erklärung setzte sich der Westen durch. Die Mehrheit der Ost-Jusos hätte lieber Schluß gemacht mit „marxistischen Versatzstücken und der endlosen Diskussion über Sozialismus- Modelle“. Der brandenburgische SPD-Chef Steffen Reiche hatte noch am Freitag die Jusos davor gewarnt, langatmige Marxismus-Diskussionen zu führen, für die in den neuen Bundesländern niemand Verständnis habe.

Am Samstag abend drohte der Ost-West-Zusammenschluß der SPD-Nachwuchsorganisation sogar zu scheitern, nachdem die Delegierten aus dem Westen der Republik in einer fünfstündigen heftigen Debatte den Ost-Delegierten Frauenfeindlichkeit vorhielten, weil sie nicht in der Lage seien, der 40prozentigen Frauenquotierung nachzukommen. Ein Großteil der West-Jusos hatte die Ost-Verbände denn auch gleich aufgefordert, ihre frauenpolitische Rückständigkeit mit dem Verzicht auf vier Mandate auszugleichen. Die scheidende Bundesvorsitzende Susi Möbbeck versicherte aber den 75 Delegierten aus den neuen Bundesländern, es gehe nicht um eine Demütigung der Ostdeutschen, sondern um die Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frauen.

Der niedersächsische Landesvorsitzende der Jusos, Martin Nissen, fühlte sich nach der Debatte gedrängt zu sagen: „Ich schäme mich, ein Juso zu sein.“ Es könne nicht mehr schlimmer kommen als auf diesem Kongreß.

Immerhin einigten sich die insgesamt 353 Delegierten auf der gestern abschließend stattfindenden Wahl des gesamtdeutschen Jusovorsitzenden auf einen Vertreter des reformsozialistischen Flügels. Mit knappen 182 zu 161 Stimmen konnte sich der 30jährige Physiker Ralf Ludwig aus Aachen in einer Kampfabstimmung gegen die Vertreterin der dogmatisch marxistischen Fraktion, Claudia Walther, durchsetzen. „Bei der wäre doch normalerweise sofort der Saal leer“, äußerte sich eine Delegierte aus Brandenburg zu der Vorstellung von Frau Walther.

Noch ist offen, wie sich Ludwig mit der politischen Grundsatzerklärung arrangieren wird. Zunächst einmal hofft er, „daß die Erneuerung der Jusos endlich stattfinden kann“. Weitere Flügelkämpfe müßten verhindert werden, erklärte er nach der Wahl. Die Delegierten dankten es ihm.

Bei der anschließenden Wahl des insgesamt neunköpfigen Vorstands bescherten sie Claudia Walther das beste Abstimmungsergebnis. Als Geschäftsführerin der Jungsozialisten wurde Annette Katterbach bestätigt.

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