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Weizsäcker bricht eine Lanze für Berlin

■ Bundespräsident fordert rasche Entscheidung über Regierungssitz

Berlin/Bonn (taz) — Der Streit um den Sitz von Parlament und Regierung im geeinten Deutschland hat sich am Wochenende zugespitzt. In einem achtseitigen Memorandum an die Partei- und Fraktionschefs hat sich Bundespräsident Richard von Weizsäcker für Berlin als „wirkliche“ Hauptstadt ausgesprochen und die Bonner Regierung dazu aufgefordert, endlich Stellung zu beziehen. Allein als Dekoration in einer Hauptstadt, der alle anderen Verfassungsorgane fernblieben, wolle er nicht dienen, so der Bundespräsident. In dem Brief fordert er eine rasche Entscheidung, die aber nicht sofort umgesetzt werden müsse. Im zusammenwachsenden Europa gebe es für Berlin keinen Ersatz, so Weizsäcker. Der Umzug nach Berlin werde teuer, noch teurer aber werde es, Berlin Funktionen vorzuenthalten. Das Echo auf den Vorstoß Weizsäckers fiel unterschiedlich aus. Während sich der Kanzler weiter in Schweigen hüllt, wollte der Berliner Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen eine Verfassungsklage nicht ausschließen, sollte sich der Bundestag gegen Berlin entscheiden. Zwar sei die Entscheidung über den Regierungs- und Parlamentssitz in erster Linie eine politische Frage, sagte Diepgen in einem Interview. Bis 1995 aber, forderte er, müßten Bundespräsident, Parlament und Regierung nach Berlin gezogen sein. Auch der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder sprach sich für Berlin aus und brachte einen Volksentscheid ins Gespräch. In zehn bis 15 Jahren könne der Umzug vollzogen sein, glaubt Schröder. Auf Widerspruch stieß Weizsäckers Memorandum dagegen beim SPD-Abgeordneten Horst Ehmke. Er geißelte das Papier des Präsidenten als Affront und Versuch, die Entscheidung des Gesetzgebers vorwegzunehmen. SEITE 4 UND 10

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