Machtkampf

■ Zur Kampagne gegen Jelzin und die russische Regierung

Machtkampf Zur Kampagne gegen Jelzin und die russische Regierung

Die Bedingungen für die Existenz der heutigen sowjetischen Regierung könnten der Regieanweisung zu einem absurden Theaterstück entnommen sein. Säbelrasselnd hängt das Zentrum in der Luft, weil das konkrete Land, in dem es residiert, nicht mehr zentral sein will, sondern nur einer von vielen gleichgestellten Staaten an der Peripherie. Die meisten Russen sind es leid, finanziell und moralisch für die Taten des Imperiums aufkommen zu müssen. Nachdem Boris Jelzin Rußland durch eine Reihe zweiseitiger Verträge solidarisch an die Seite der anderen souveränen Republiken gestellt hatte, wurde eine umfassende Friedensordnung zwischen den Völkern auf dem Gebiet der bisherigen UdSSR plötzlich wieder denkbar.

Die Kampagne gegen Jelzin und die russische Regierung, die jetzt in den zentralen Medien, vor allem im Fernsehen, entfacht wird, bestärkt leider den Verdacht, daß es der UdSSR-Führungsspitze bei dem bevorstehenden Referendum nicht darum geht, zwischen verschiedenen Positionen der bisherigen Sowjetrepubliken zu vermitteln, sondern darum, um jeden Preis ihre Macht über die Bevölkerung zu verteidigen. Die eigenen Verfehlungen werden dabei dem politischen Gegner in die Schuhe geschoben. So kritisierte der offizielle Kommentator des sowjetischen Fernsehens Jelzins 500-Tage-Plan des Übergangs zur Marktwirtschaft mit den Worten: „Kann man denn, nachdem man das Land jahrzehntelang ruiniert hat, es in anderthalb Jahren wieder auf die Beine stellen?“ Da bleibt die Frage, wer „man“ denn ist.

Eine Herrschaft, wie sie jetzt in den Bereich des Möglichen rückt: durch Präsidentenukasse und eine Militärdiktatur, könnte die Völker Rußlands über einen längeren Zeitraum weder sattmachen noch kleiden. Und die Schlacht um die Propagandabotschaften wird heute nicht mehr in den Fernsehtürmen gewonnen, um die die Zentralregierung der UdSSR zu Beginn des Jahres 1991 in Litauen so verbissen gefochten hat — gewinnen kann man sie nur noch am anderen Ende des Kanals: auf den Sofas der Zuschauer. Die aber hören bei einem zweistündigen Monolog eines Parteiführers auf dem Bildschirm nicht mehr den Inhalt seiner Worte, sondern konstatieren nur noch verbittert, daß so etwas in keinem anderen osteuropäischen Land mehr zulässig ist. Unter dem Schlagwort „Wir müssen uns ja schämen“ hat das letzte Jahrzehnt des Jahrhunderts in Moskaus Wohnküchen begonnen. Barbara Kerneck, Moskau