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KOMMENTARETestfall Festung

■ Europa schweigt, wenn Italien Asyl- und Menschenrechte außer Kraft setzt

Wo sind sie, die offiziellen Proteste des Europaparlaments angesichts der Unmenschlichkeit, die die italienische Regierung derzeit in den Häfen von Brindisi und Otranto für jeden sichtbar demonstriert? Wie kräftig halten sie sich derzeit die Augen zu, all die hochdotierten Beamten und Politiker in EG-Institutionen, die uns lehren wollen, daß die Zeiten der Kleinstaaterei vorbei sind und Politik nicht mehr an den eigenen Landesgrenzen enden kann? Wo bleiben sie, die diplomatischen Stockschläge, mit denen die übrigen europäischen Außenminister ihrem italienischen Kollegen kräftig auf die Finger hauen?

Nichts passiert, nichts ist zu hören. Europa schweigt und schaut zu, wie Italien albanische Flüchtlinge aufs Meer hinaus schickt — zurück in einen Staat, der noch vor kurzem als letzter Hort des hundertprozentigen Marxismus galt. Mit Waffengewalt hat die italienische Regierung zunächst versucht, die Flüchtenden zurückzudrängen. Als dennoch Zehntausende durch die Maschen schlüpften, behandelte man sie wie Tiere. Daß diese Menschen auch aus politischen Gründen und unter hohem Risiko ihr Land verlassen, wird pauschal in Abrede gestellt. In makabrer Umkehrung des Asylgedankens will man ihre politische Verfolgung erst dann ernst nehmen, wenn sie vom Verfolgerstaat höchstpersönlich beglaubigt ist. Man ließ die Ankömmlinge zur Strafe hungern, unter offenem Himmel schlafen, versuchte von Amts wegen gezielt, Ressentiments gegen die Asylsuchenden zu schüren. Während sich die BewohnerInnen der Hafenstädte zu Hilfsaktionen für die Flüchtlinge zusammenfanden, Kleider und Lebensmittel spendeten, stempelte die Regierung die AlbanerInnen zu Seuchenträgern, denen die Beamten nur mit Mundschutz und Gummihandschuhen nahekommen durften.

Drastischer, als es die italienische Regierung jetzt tut, kann man geltende Flüchtlingskonventionen und humanitäre Mindeststandards kaum außer Kraft setzen. Wenn das die künftige Meßlatte für die vielbeschworene europäische Harmonisierung des Asylrechts ist, dann müssen Bundesregierung und Parlament dazu Stellung nehmen oder sich schleunigst von dieser Idee verabschieden. Das Schweigen Bonns und Europas legt jedoch eher einen anderen Verdacht nahe: Italien wird vorgeschickt, den Testfall für die Festung Europa durchzuexerzieren. Verläuft dieses Experiment positiv, sprich ohne internationale Ächtung und ohne innenpolitische Proteste, dann kann man auf dieser Linie weiterarbeiten an der Abschirmung des eigenen westeuropäischen Wohlstands. Nur die Ansprüche an Demokratie und Menschenrechte, um deretwillen sich zahllose Flüchtlinge auf die Reise machen, kann sich Europa dann schön eingerahmt übers Klo hängen. Vera Gaserow

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