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POPSTARS

DERFEINSCHMECKER—TIP  ■  NIAGARA

Wir kennen Niagara Falls, die Mutter aller Honeymonn-Hochburgen, wir kennen einen Film mit Marilyn Monroe und eine Kneipe in 61 mit dem Namen Niagara. Wer aber kennt das gleichnamige Popduo aus Frankreich. Bei uns kein Schwein, dort zumindest soviele, daß es zu einer goldenen Schallplatte reichte. Und für die braucht man in etwa eine Pariser Trabantenstadt — also an die 100 000 Bewohner.

Doch Niagara entstammen nicht der Mutter aller Metropolen mit ihren unzähligen Bonjour-tristesse-Kasernen, aus denen so und so nichts Gescheites kommen kann, nein, das Duo, Muriel Mureno und Daniel Chevenez, ist ein Produkt der kräuterkäseverseuchten Bretagne.

So frisch und erdverbunden die gewollt dahergeschlampten Gitarrenriffs sich bemühen, nach »le grand R'n'R« klingen zu wollen, verbreiten sie doch eher die fröstelnde Neon-Kälte der modernen Metrostationen. Ein technizistisches Rock'n'Roll-Trauma.

Bevor ich nun anfange, selbstkritisch mein Vorurteil über französischen R'n'R zu durchleuchten, wie das gewöhnlich Scheiberlinge immer dann machen, wenn sie über denselben hofberichterstatten, spreche ich offen aus: Franzose bleib bei deinem Käse und verschone uns mit Rock'n'Roll. Von mir aus auch Chanson — es sei nur an das kürzlich verstorbene Obszön-Genie Serge Gainsbourg erinnert — aber kein Rock'n'Roll. Ausnahmen: Plastic Bertrand und der Trash-Chanson der Lolitas.

Nun hat Niagara aber auch noch eine andere Seite. Eine, die heute beinahe überall auf der Welt verstanden wird, und die an jedem beliebigen Ort der Welt produziert werden kann, insofern man ihre Bildungsgesetze kennt. Klar: der Pop.

Und Niagara haben die wichtigste aller Regeln gerafft: Pop ist gleich MTV. Ihre Videos durchströmt eine Unbefangenheit, die daher rührt, daß schon früh in diesem Land begonnen wurde, mit Video als einem eigenständigen Medium zu arbeiten. Kronzeugen: Les Rita Mitsouko. So sind Niagara-Videos kleine fantastische Filmchen mit vielen Techno-Gimmicks, très amusant und ohne Truffaut.

Niagara haben neben einer Band hoffentlich mehr Videomonitore denn Verstärker im Gepäck. Und würde ich nicht meinen, daß die Sängerin Muriel Moreno wunderschön ist, würde ich meinen MTV-Kanal zuhause answitchen und mir Niagara virtuell zu Gemüte führen. Josef Pichelmayer (photo: Thierry Rajic)

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