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Kreuzberger Kleingeld Klingen

■ Das zweite Berliner »Klangwerkstatt«-Festival Neuer Musik in Kreuzberg

Am letzten Wochenende fand im Ballhaus Naunynstraße an drei Tagen die zweite »Kreuzberger Klangwerkstatt« statt. Die ursprüngliche Idee des Initiatoren Peter Aiblinger, der als österreichischer Komponist an der Musikschule Kreuzberg lehrt, war es, seine eigenen Musikstücke und die Kompositionen befreundeter, mit ihm an der Musikschule zusammenarbeitender Künstler (Orm Finnendahl und Helmut Zapf) uraufzuführen. Die Möglichkeiten der Schule, ein solches Projekt zu realisieren, sind personell recht gut, arbeiten in ihr doch so ausgezeichnete Improvisationsmusiker wie Wolfgang Fuchs (Saxophon und Klarinette) und Alexander Schlippenbach (Klavier) ebenso wie der Pianist Christian Petrescu, auch exzellenter Interpret avantgardistischer Musik. Die diesjährigen Aufführungen präsentierten aber, über den Kontext der Musikschule Kreuzberg hinaus, auch zahlreiche Arbeiten Berliner Musikstudenten: Hanspeter Kyburz, André Werner, Isabel Mundry oder auch Helmut Friedrich Fenzl, Schülern Frank-Michael Beyers. Hinzu kamen Komponisten aus Berlin (Ost) und den FNL: Jakob Ullmann, Georg Katzer, Friedrich Goldmann, Rainer Bredemeier und Ellen Hünigen. Werkaufführungen der in West- Berlin lebenden Komponisten: Grosskopf, Beyer und Schnebel vervollständigten den Überblick zum Musikschauplatz Berlin.

Die präsentierten Kompositionen, überwiegend Ur- und Erstaufführungen in den letzten Jahren entstandener Arbeiten, waren thematisch nach einzelnen Stilrichtungen und Instrumentierungen zusammengestellt.

Zu nennen ist hier zunächst der Konzertzyklus Begegnungen am Freitag abend, der so etwas wie das künstlerische Anliegen der Veranstalter symbolisierte: Die von Schlippenbach improvisatorisch umgesetzte grafische Partitur Son Imaginaire II von Ullmann zeigte ebenso wie die Zusammenarbeit von Katzer und Fuchs, daß Korrespondenzen zwischen ernsten Musikkonzepten und dem Free Jazz ähnlichen Spielweisen neue Möglichkeiten musikalischen Ausdrucks provozieren.

Einen weiteren Schwerpunkt bildeten die Gesprächskonzerte, die an den folgenden Nachmittagen Katzer und Bredemeier Gelegenheit gaben, ihre Stücke vorzustellen und zu erläutern. Katzer führte drei unterschiedliche Möglichkeiten kompositorischen Arbeitens im Bereich elektronischer Musik vor: Neben den Schalleffekten seines Steinelieds (1985), die die kompositorische Umsetzung ganz dem Computer überläßt, waren die radiophone Arbeit Stille. Doch manchmal spürst du noch einen Hauch (1978) und der Dialog imaginär 1 (1984) für Flöte und Tonband zu hören. Zwei Kompositionen, die neben den technischen Effekten auch wieder instrumentale Klänge einsetzen.

Ganz andere Töne gab es bei der Aufführung von Ausschnitten aus Bredemeiers Kinderoper Der Neinsager nach Bertolt Brecht zu hören. Der Komponist versteht es, dem Nachwuchs politisches Musiktheater im Stil eines orientalischen Märchenerzählers nahezubringen.

Durch diese Aufführung und die von Gerhard Scherer geleiteten Aufführungen neuer Musik durch die Vorschulklassen der Musikschule konnte ein schöner Einblick in die pädagogische Werkstatt des Veranstalters gegeben werden.

Wieder ganz andere Aspekte heutigen Musizierens repräsentierte Goldmanns Trio (1986), eines der eindrucksvollsten Beispiele, ausschließlich an den Möglichkeiten instrumentaler Technik orientierter Komposition. Das für Viola, Violoncello und Kontrabaß eingerichtete Stück stellte hohe Anforderungen an die Interpreten, werden doch die Klangmöglichkeiten ihrer Instrumente in vielfältiger Weise eingesetzt, da die Partitur klassische — neben modernen — Spieltechniken vorgibt.

Natürlich glückten nicht alle Arrangements so gut. Einige der aufgeführten Werke konnten schlicht von ihrem musikalischen Bewußtsein nicht überzeugen: Zum Beispiel Einbrüche in emphatische Klangwelten á la Eurovisionshymne des Fernsehens, wie sie sich Fenzl leistet.

Hinzu kamen die schlechten akustischen Verhältnisse im Ballhaus, die durch eine fast permanente Unruhe im Publikum und in den Nebenräumen gelegentlich unerträglich waren. Vor allem die stilleren und leisen Stücke kamen dadurch nur ungenügend zur Entfaltung. Dies gilt etwa für die ambitionierte Komposition Marginalien für Streichquartett (1990) von Kyburz. Unter dem Titel Differenzen repräsentiert dieses Stück zusammen mit Aiblingers Annahme II (1989) ein kompositorisches Arbeiten, dem musiktheoretische und philosophische Reflexionen vorausgegangen sind. Die musikalische Kreation einer kontinuierlichen Tonreihe zu einem Ganzen bildet auf unterschiedliche Weise den Orientierungspunkt beider Künstler. Deutet Kyburz Fragmente zu musikalischen Themen an, die einheitliche Klangfolgen musikalischen Ausdrucks verweigern, operiert Aiblinger im Stück für Oboe mit Tonfolgen, die ihre disharmonischen Gegensätze in eine übergreifende Einheit transformieren.

Eine solche Konzentriertheit und Bündelung musikalischen Ausdrucks aber verweist künstlerisch über die Möglichkeiten der Klangwerkstatt schon hinaus. Ähnliches gilt für die Kompositionen von Hünigen und Mundry, die Petrescu im Zusammenspiel mit Peter Stegmann (Blockflöten) und Thilo Krigar (Violoncello) virtuos umsetzte. Mundrys Duo für Violoncello und Klavier (1989) verweist auf die Möglichkeiten einer musikalischen Reduktion auf einzelne Töne, die nur mehr perkussiv, durch klopfende Einsetzung der Klangkörper der Instrumente, akzentuiert sind. Auch hier wären aber ruhigere Aufführungsbedingungen Voraussetzung wirklicher Rezeption.

Ideal den Bedingungen entsprechen dagegen experimentelle Inszenierungen im Stil von Dieter Schnebels Zahlen für (mit) Münzen durch das Ensemble Zwischentöne. Die Situation des Festivals, mit einem kleinlich dotierten Etat kreativ arbeiten zu wollen, ist hier trefflich metaphorisiert. Rollendes, geworfenes und eingestrichenes Kleingeld assoziiert sich zu einem furiosen Klanggebilde.

Aiblinger und Finnendahl konnten tatsächlich nur mit einem minimalen Zuschuß des Bezirksamtes von wenigen tausend Mark arbeiten, was eben einmal zur Erstattung von Fahrkosten und Spesen ausreicht. Der größte Teil der Mittel dagegen stammt aus dem Etat der Musikschule, was aber auch bedeutet, daß Einstudierung und Inszenierung der Stücke ohne eine Selbstausbeutung der Musikpädagogen nicht möglich wäre. Thomas Schröder

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