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■ Blaine Leslie Reininger

Wenn ein Musiker von San Francisco, Kalifornien nach Brüssel, Belgien zieht, hat er gute Chancen, wenn nicht gleich für verrückt, so doch wenigsten für skurril gehalten zu werden. Irgendwann muß Blaine Leslie Raininger die Diskrepanz zwischen Lied und Wetter instinktiv gespürt haben. Er hatte mit einer Band namens Tuxedomoon (remember?) mitten in San Francisco düstere Soundvisionen entworfen, die sonst nur den finsteren Gemütern Europas (damals etwa Cabaret Voltaire) aus den Poren quollen. Regenmusik quasi.

1981 zog Reininger seine Konsequenzen und nach Brüssel, keiner sollte ihm mehr sagen, er mache die falsche Musik am richtigen Ort (oder umgekehrt?). Außerdem hatte Belgien immer noch den Vorteil, die am besten beleuchteten Highways der Welt zu besitzen - es geht doch nichts über knallorangene Autobahnhimmel nachts um drei - und, „last but not least“ hatte Reininger sich in eine Belgierin verknallt.

Mit dieser Lady muß er heute noch zusammensein. Sein jüngstes Album Songs From The Rain (sic!) Palace ist seiner Frau J.J. La Rue gewidmet. In einer herzerweichenden Schnulze mit pfeifenden Synthietönen bringt er seiner J.J. ein Ständchen, dessen Lyrik sie sich über den Nachttisch hängen könnte: I fell in love with a beautiful woman. I'm a lucky man indeed. And when the cold wind blows - she keeps me warm. Who could ask for more than this? Who could ask for more? Kein Mensch könnte das, aber Reininger setzt noch einen drauf: I used to wonder lost and lonely - ‘til she came into my life. Oh my woman, oh my wife. Und das alles nach über zehn Jahren togetherness, wie Reininger uns beichtzwanghaft auf dem Cover mitteilt.

Auch wenn Leslie ein hoffnungsloser Romantiker ist, er vergißt darüber nicht die große Politik. Es gibt nämlich nicht nur den Song for J.J., es gibt auch ein Liedchen, das Nicolae Ceaucescu gewidmet ist: Justice, zu deutsch Gerechtigkeit. Ein hübsches Stück Kurzprosa, das den Fall des rumänischen Diktatoren mit einem Überfall auf einen Supermarkt in L.A. („in the free world“) vergleicht, bei dem der Täter erschossen wird. Seine Geisel, eine Supermarktangestellte vollbringt folgende Heldentat: So the hostage fulled a knife - left the bastard bleeding on the door. Der Chorus darauf läßt wenig Zweifel an Reiningers Weltbild: Wie vorher bei Ceaucescu schmettert er auch dem Ladenddieb entgegen: Weißt du nicht, daß es ein Narrenspiel ist? Und die Gerechtigkeit wird siegen.

Kann mir jemand erklären, ob das ironisch gemeint ist? Falls nicht, dann reiht sich der gute Leslie damit ein in eine merkwürdige Tendenz zum Reaktionären bei amerikanischen Musikern. Auch Lou Reed vertritt auf seiner letzten Platte unverholen die Meinung, Valery Solanis, die Andy Warhol Attentäterin, hätte man auf den elektrischen Stuhl schicken sollen. Alles nur weil Reed ein schlechtes Gewissen hat, denn er hat Warhol danach nie im Krankenhaus besucht... Das Dumme ist, daß die Platte im Fall Reed trotzdem klasse ist, auch wenn er im Endeffekt nur seine Schuldgefühle vertont (aber für die Texte interessiert sich eh kaum jemand).

Reinigers Rain Palace ist vielleicht von innen betrachtet ein scheußliches Ungetüm, aber es macht hübsche Geräusche.

Blaine L. Reiniger spielt um 20.30 Uhr im Loft. A.Becker (voto: R.Owsnitzki)

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