: Die Bürgerschaft turnt
■ Performance im Rathaus mit Lili Fischer, zwei SenatorInnen und Bremer Abgeordneten
Lili Fischer, performance-Künstlerin, performt, Politiker haben groß AugenoffenFoto: Sabine Heddinga
Der Sportwart der Bremer Bürgerschaft, Hans Joachim Manske, im Nebenamt Abteilungsleiter der Kulturbehörde, hatte interne Defizite ausgemacht: Der körperliche Ausdruck der Parlamentarier reduziert sich auf Hängeschultern, Sitzungen haben et
was Ermüdendes, Reden sind vor ihrem Ende schon vergessen. Um diesen Mißständen abzuhelfen und die parlamentarische Arbeit aufzufrischen, lud Manske eine professionelle Parlamentsgymnastiklehrerin, die berühmte Performancekünstlerin Lili Fischer
aus Hamburg ein, und gestern um 13.45 war es soweit: Die Bürgerschaft turnte.
Allerdings nicht in ihrem Haus, der Bürgerschaft: Da war Parlamentspräsident Dieter Klink davor, dem ungewohnte Vorgänge im Hause von jeher nicht behagen. Manskes Chef, Bürgermeister Henning Scherf, parierte des Schlag gegen seinen Mitarbeiter und ließ kurzerhand den Festsaal des Rathauses zur Turnhalle umdekorieren. Und alle waren auch nicht da: Christdemokraten und Liberale fürchteten zurecht individuelle Provokationen.
„Bremer Freiübungen“: Lili Fischer hatte ihr Programm didaktisch geschickt aufgebaut. Zunächst denunzierte sie den idealtypischen Argeordneten anhand eines männlichen Exemplares aus dem Publikum als „Schrank“, um sogleich das Vorturnen zu beginnen. Beinarbeit: Zittern, Hüpfen, Rückwärtseilen je nach Inhalt der zu haltenden Rede. Weitausholende Hände machen „Atmosphäre begreifbar“. „Odemturbulenz“ ermöglicht es dem kleinen Abgeordneten, von der Atemluft des Bürgermeisters zu erhaschen. Übungen zur Sprache der Jacketts, zur Sprache der Schlipse. An schlipslose Damen und anwesende Grüne wurden Krawatten verteilt, die dann in einer Übung kollektiv gen Ost und West geschwenkt wurden.
Therapeutischen Charakter nahm die Veranstaltung an, als dann u.a. Senatorin Eva-Maria Lemke-Schulte aufgefordert wurde, mit dem Schlips nach politischen Gegnern zu schlagen. Ein heikler Bereich wurde mit dem Portemonnaiewinken tangiert, besonders als Frau Fischer zu Geldgeschenken an den Nachbarn aufforderte. Während zwischen den Grünen Martin Thomas und Helga Trüpel lediglich Kleingeld wechselte, schob Staatsrat Dieter Opper dem Deputierten Manfred Fluß einen Blauen rüber, was vermutlich mindestens einen Untersuchungsausschuß nach sich zieht.
„Heben Sie hoch, was Sie lieben!“, lautete eine Übung, „und trennen Sie sich davon“. Ein Müllsack machte die Runde. Die Sozialdeputierte Elke Steinhövel hob ihr Parteibuch, trennte sich aber nur von ihrem Parfum. Ansonsten gab es hier, beim „Loslassen, woran Sie festhalten“, die größten Mitmachhemmungen.
Mit einem heiteren Stroh- und Zeitungspapierwerfen auf die Hinterbänkler rundete die Lehrerin ihre erste Gymnastikstunde ab und ließ dankbare Volksvertreter zurück, die sich schon auf die nächste Stunde freuen, wenn es wieder heißt „Die Bürgerschaft turnt.“
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