Kunst ist Geld ist Kunst

■ »Ferien im Jammertal« mit Ueli Etter im Künstlerhaus Bethanien

Es kam jede Menge Prominenz aus Untergrund und Überbau zusammen, als das Künstlerhaus Bethanien am Donnerstag die Pforten des Studio III öffnete. Wer immer Freund oder Feind zeitgenössisch moderner Kunst war, konnte dort einen Blick auf die noch fabrikneu duftende Neonröhreninstallation von Ueli Etter werfen, der mit dieser Schau seinen Atelieraufenthalt im Hause standesgemäß beendete.

Den meisten genügte dann tatsächlich schon ein kurzes Blinzeln in das helle Neonlicht der über 20.000 Watt verschlingenden Lichtwand, die bereits nach einer Stunde Betriebszeit zum Abkühlen einige Minuten lang ausgeschaltet werden mußte. Irgendwie hatte man gesehen und betätigte sich flugs besserer Unternehmungen. Der Untergrund wurde nicht müde, sich wie wild in warholscher Manier gegenseitig zu fotografieren, der Überbau verschwand zu Geschäftsabwicklungen und Interessenwahrnehmungsgesprächen ans Bierbüffet. Dabei fiel das Geknipse im hellen Neonschein munterer aus als die grobgekörnten Reflexionen, gleichviel, ob nun Neo-Konzept oder fundamentaler Realismus dem einleuchtenden Projekt Pate stand.

Besonders geübt gastierende Gäste frotzelten ein wenig auf den Fluren über diejenigen, die sich allen Ernstes auf die Blendprobe einließen. Da war nur ein ganzer Haufen Licht und nichts zu sehen, aber gewarnt waren schließlich alle gewesen. Denn der Titel der Ausstellung von Ueli Etter verspricht Ferien im Jammertal, eine zugegeben trübe Aussicht. Und auch der am Eingang gestapelte, die Ausstellung begleitende Katalog bestätigte für ganz Hartnäckige, wie ernst es hiermit gemeint ist. »Im Jammertal der MENSCHEN und DINGE«.

Das Jammertal ist dem ausreichend Obergeschulten von Gryphius her ein Begriff. Dem galt die Erde als solches. Ein Aufenthalt auf der Erde also, im »Folter-Hauß«, wie selbiger Dichter im barocken Trauerspiel über Catharina von Georgien wiederholt geschrieben hat, soll für eine kurze Zeitspanne den Besucher beheimaten. Auch im Bethanien sind die Fluchtwege in den schönen Schein allesamt versperrt. Zum einen bewirkt das überhelle Licht Schmerz in den Augen, zum anderen findet sich keine wie auch immer als Kunstobjekt geartete Ablenkung im Raum. Nirgends ein Zeichenwink, kein Vexierobjekt, das sich im Neonschein versteckt, nichts eben, nicht einmal ein großgeschriebenes, abstraktes und einbildungskräftiges Existentialisten- Nichts.

Der Raum im Bethanien verströme an sich schon genügend Stimmung des Elends, teilt der Künstler in einer kurzen Stellungnahme mit. Er sei in seiner wechselhaften Geschichte vom Krankenhaus zum Kulturtreff aufgestiegen, müsse allmonatlich neue Ansammlungen von Kunst erdulden, die ewige Alpinaweißung der Galerie würde gar nicht erst mitgerechnet. Da bedarf es eigentlich keines weiteren Objektes, das der Künstler hinzufügen müsse. Der Raum sei schlechthin das Kunstobjekt. Wer allerdings mehr erfahren will, der sei »auf das Buch verwiesen«, wie im Barock, als Bücher den Blick auf die Natur übermächtig zu begleiten beginnen.

In Etters Schrift finden sich im Gegensatz zur Leere der Ausstellung eine Fülle von Betrachtungen und Verweisen im Kunstkontext, Auseinandersetzungen mit dem Stellenwert, den Kunst seit einiger Zewit einnimmt. Die kreative Welt, für die Kunst klassisch modern einmal eingestanden hatte, sie gibt es dort nicht mehr. Im Zeitalter der zynischen Vernunft wird der Künstler Etter selber zynisch. Es träumt sich schlecht von Hölderlin und Hegel in deren entropischer Nachgeburtenwelt, einer Welt, in der die Dinge schamlos vom Allesfresser Ästhetik verschlungen werden. So gibt es unendlich viele Dinge, denen dasselbe Schicksal beschieden ist: als Kunstwerke existieren zu müssen. Entweder von Ready-Made- Nachmachern für ihre Form dekoriert, oder von Designern als Realobjekt intensiv nachempfunden und als allegorische Reihe aus Bastkorb, Monstermaske und Taschenwecker auf Galerieregalen postiert. Nicht jeder Mensch ist ein Künstler, wohl aber jedes Objekt Kunst. Für Etter spiegelt sich darin mehr noch Apathie als Langeweile. Ändern möchte er es nicht, denn »auch übermäßige Anteilnahme führt in die Irre«.

Insofern bleibt die Kunst auch weiterhin ihrem Ruf als Labyrinth treu, nun allerdings nicht mehr in Bezug auf ihre Wahrnehmbarkeit, sondern seitens ihrer Produzenten. Kunst ist objektgewordene Gleichgültigkeit, gegenüber der sich der Künstler zwangsläufig am Rauschen von Geist und Materie verliert. Mit viel Glück findet man aus dem Labyrinth der Bedeutungen wieder heraus (auf eine andere griechische Insel). Aber daran denkt Ueli Etter nicht so sehr, und wenn, dann geringschätzig. Er überläßt die zirkelschließenden Bedeutungsspielereien mit Realobjekt, Fetisch und Simulationskörper den »professionellen Dingesmißhändlern«, z.B. Jeff Koons und seinen Abgüssen von Engeln und Spielzeugikonen, Bugs Bunnies etc. Noch so banale Dinge lassen sich in dieser Weise als mit Fetischwert behaftete verkaufen. Ein Fünkchen Aura scheint im Kult mit der Darstellung von Gegenstandsobjektivität wiederaufzuleben, denn alles was ist, muß einen Sinn haben, und so auch Kunst und so fort...

Neben amüsanten Aspekten gewinnt Etter diesem Werdegang allerdings auch ein pessimistisches Bekenntnis ab. Dem Spektakel Kunst liegt die Gewißheit des Kapitals zugrunde, daß es ein Existenz- und Bleiberecht hat. Kunst ist Geld ist Kunst, dieser rätselhaften Formel bedienen sich Banken und Industrie. Dort heißt die Kunst Mehrwert produzieren — schöpfen. So müssen auch deren Symbole, die Mercedesse der 500er Serie, als äußerste Gesamtkunstwerke verstanden werden (und nicht von ungefähr hat Ange Leccia einen davon zur letzten Documenta aufs Podest gehoben).

Ein letzter Blick in den Ausstellungsraum: die 329 Neonröhren stiftete die Firma GTE Licht (Sylvana), die dazugehörigen Fassungen die Semper Lux GmbH zum Selbstkostenpreis — und installierten die Anlage gleich nach ihren Vorstellungen. Den seitens des Bethanien als Zuschuß zur Verfügung gestellten Betrag von 5.000 bis 7.000 DM hat Etter als einer der letzten Absolventen des Atelierprogramms erhalten. Ein Ankauf der Atelierergebnisse ist dem Bethanien nicht mehr möglich. Seit der Senat die Förderungsgelder versagt, muß das Bethanien sich selbst um Sponsoren bemühen, um »im Jammertal« weitermachen zu können. Wie sich das Bethanien als Außenposten der Kunstverwirklichung unternehmerischer Phantasien verwirklichen könnte, läßt Etter offen. Eine ästhetische Rechtfertigung gibt er an das Kapital ab, bleibt im gleichen Schritt aber als künstlerischer Unterhändler in der Verantwortung. Die Industrie hat ihn über die Installation als Künstler eingesetzt. Harald Fricke

Ueli Etter im Studio III des Künstlerhauses Bethanien bis zum 24. März; täglich 14-19 Uhr (außer montags), Eintritt frei.