: Drohgebärde der jugoslawischen Armee
In einer Sitzung des jugoslawischen Staatspräsidiums wurde die Forderung der Armee abgelehnt, einen Ausnahmezustand in Jugoslawien zu verhängen/ Putschgefahr ist noch nicht überwunden/ Ist Milosevic fallengelassen worden? ■ Von Hofwiler/Rathfelder
Die Armee konnte gerade noch einmal davor zurückgehalten werden, den offenen Ausnahmezustand in Jugoslawien zu verhängen. Als in der Nacht zum Mittwoch das jugoslawische Staatspräsidium tagte, das auch Oberster Befehlshaber der Armee ist, ging es ausschließlich um die Forderungen der Militärs. Der Antrag auf Verhängung des Ausnahmezustands, so das kroatische Mitglied des Staatspräsidiums, Stjepan Mesic, konnte nur durch den Hinweis auf die internationalen Folgen zurückgewiesen werden. Denn von den Finanzhilfen des Auslands, vor allem von der Stützung der Währung durch die Europäische Gemeinschaft, ist Jugoslawien abhängig. Übrigens: Nur fünf der acht Mitglieder des Gremiums stimmten den Antrag der Armee nieder.
So ist die Gefahr keineswegs abgewendet. Die konservative Generalität, der es schwerfällt, sich mit dem politischen Differenzierungsprozeß in Jugoslawien abzufinden, „versteht die Situation nicht“ (Mesic) und hat eine weitere Diskussion für den heutigen Donnerstag gefordert. Angesichts der Demokratisierung in den Republiken — Serbien blieb durch die von den Wählern legitimierte Herrschaft Milosevics eine Ausnahme — mußte die Demokratiebewegung der letzten Tage in Serbien selbst für das Militär wie ein Schock wirken. Wenn Milosevic und seine Partei, die in Sozialisten umbenannten Kommunisten, auch noch fielen, wäre das Ende der Institution Armee in der jetzigen Form gekommen. Diese Perspektive ist für weite Teile des Offizierschorps zur Existenzfrage und zum Alptraum geworden.
Zwar ließ Präsident Borislav Jovic, der den Vorsitz des Staatspräsidiums innehat und selbst Serbe ist, in seiner Erklärung nach der Sitzung in der Nacht zum Mittwoch Sympathien für die Position der Armee anklingen. Die Einberufung des Staatspräsidiums begründete er mit der „Lähmung“ dieser Institution, das seine „Funktionen und Verpflichtungen nicht mehr erfüllt, während das Land sich in einer dramatischen Situation befindet“. Nach der Sitzung erklärte er jedoch, der Generalstab der Armee habe „seine Auffassung der Situation in Jugoslawien und über die Funktionstüchtigkeit der jugoslawischen Verfassungsordnung dargelegt und dem Präsidum entsprechende Maßnahmen vorgeschlagen“, über die keine Einigung erzielt worden sei. Mit dieser Formulierung reduzierte er sich korrekterweise auf seine Position als Sprecher des höchsten Staatsgremiums. Er sagte aber auch, daß die Armee den Frieden, die Sicherheit und die verfassungsmäßige Ordnung des Landes garantieren werde.
Und diese Formulierung ließ wiederum aufhorchen. In den Redaktionsräumen der serbischen Zeitungen ist von manchen Journalisten zu hören, die Armee habe mit ihrer Aktion einen verdeckten Putsch durchgeführt. Ob ein offener Putsch immer noch ansteht, darüber wird heftig gestritten. Konsequenzen haben schon einige gezogen und sich ins Ausland abgesetzt. Der Sprecher der zweitgrößten Oppositionspartei, der „Demokratischen Partei“, Zoran Djindic, drückte auf einer Pressekonferenz die Befürchtungen vieler aus: „Das kollektive Staatspräsidium existiert nicht mehr, jezt wird nur noch verhandelt, welche Aufgabenbereiche die Armee, die Bundesorgane und die Regierung zugesprochen bekommen.“ Doch die politischen Konsequenzen dieser Entwicklung scheinen auch den serbischen Oppositionspolitikern noch nicht klar zu sein. Slobodan Milosevic mußte angesichts der Demonstrationswelle von seinem harten Kurs abrücken und den Demonstranten Konzessionen machen. Aber nur ein Häftling kam wieder frei, der Nationalist Vuk Draskovic, der in der Nacht zum Mittwoch von seiner im Zentrum der Stadt ausharrenden Anhängerschar begeistert mit dem Slogan „Slobodan — Saddam“ begrüßt wurde, von anderen Freigelassenen ist nichts zu hören. Und zwar mußte das Führungskollegium des Fernsehens zurücktreten, doch wurde mit dem neuen Intendanten Radomir Vico ein ehemaliger Mitarbeiter des Propagandaministeriums berufen, der in Journalistenkreisen über einen außerordentlich schlechten Ruf verfügt.
Inwieweit die Position der Armeeführung mit dem serbischen Präsidenten Milosevic abgestimmt war, ist nach den vorliegenden Informationen schwer zu beurteilen. Slobodan Milosevic ist seit Tagen nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten. Ist Slobodan Milosevic nur zurückgewichen, oder ist er selbst schon politisch kaltgestellt? In Belgrad wurde gestern von der „Sozialistischen Front“ verfügt, alle Milosevic-Bilder aus den Geschäften, den Schulen und den Amtsstuben zu entfernen. In einem stalinistischen System ist dies ein untrügliches Zeichen für den Sturz eines Führungsmitglieds. So bleibt die Frage, ob auf der Sitzung des Staatspräsidiums ein Kuhhandel mit der Armee erfolgt ist, der möglicherweise den Sturz Milosevic beinhaltet.
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