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Die vielen Pläne der Friedensstifter

Die Meinung zahlreicher Israelis, daß die Nahostreise Bakers zum Scheitern verurteilt ist, teilen auch viele Palästinenser  ■ Aus Tel Aviv Hal Wyner

Israelis und Palästinenser schickten James Baker private Willkommensgrüße verschiedener Art, als er am Montag dieser Woche zu seinem ersten Besuch im Heiligen Land eintraf. Israels bekanntester Friedensaktivist Abie Nathan, der vergangenes Jahr wegen eines Treffens mit PLO-Chef Yassir Arafat zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde, schrieb in der englischsprachigen 'Jerusalem Post‘ einen offenen Brief. Darin bat er den Gast, seine „Überzeugungskraft“ einzusetzen, um Israel und seine arabischen Nachbarn von der Fortsetzung ihrer fatalen Fehde abzubringen. „Wenn wir es nicht schaffen, miteinander zu reden, werden viele von uns womöglich unser eigenes Versagen nicht überleben“, schrieb Nathan, der seinen Appell mit dem biblischen Spruch schloß: „Gesegnet seien die Friedensstifter...“

Die Bewegung „Am Jisrael Chai“ („Das Volk Israel lebt“) zitierte in einer Anzeige in derselben Zeitung ebenfalls aus der Bibel: „Und das Land soll auf ewig nicht veräußert werden, denn Meines ist das Land.“ Den amerikanischen Außenminister erinnerte die Bewegung „hochachtungsvoll“ daran, daß „dieses Land unseren Vorfahren Abraham, Isaak und Jakob vom Schöpfer geschenkt wurde“.

Der Minister für Wohnungsbau, Ariel Scharon, sparte sich in einem am Montag erschienenen Leitartikel das Biblische. „Die bizarre und obsessive Beschäftigung der jetzigen amerikanischen Administration mit der Palästinenserfrage und mit dem Thema „Frieden“ muß ein Ende finden“, befahl der ehemalige General.

Mitglieder der rechtsextremen „Kach“-Bewegung des vor wenigen Monaten ermordeten Rabbiners Meir Kahane drückten sich noch präziser aus: „Amerika — Kümmer dich um deine eigenen Angelegenheiten“, sprühten Aktivisten in roter Farbe auf eine Mauer vor dem „American Cultural Center“ in Jerusalem.

Von palästinensischer Seite wurde dem Besucher aus Washington ein Empfang anderer Art bereitet. Am Tag vor seiner Ankunft erstach ein 26jähriger Krankenpfleger aus dem Gaza-Streifen vier israelische Frauen in Jerusalem. Polizeiberichten zufolge bekannte der Täter, die Morde als „Botschaft an Baker“ begangen zu haben.

„Er hatte keinen Grund, die Israelis mehr zu hassen als wir alle.“

Noch in derselben Nacht drangen sechs schwerbewaffnete Terroristen — auch sie vermutlich Palästinenser — an der jordanischen Grenze nach Israel ein, wo sie prompt von israelischen Soldaten getötet wurden. Laut der Armee hätten die sechs geplant, einen Kibbuz im Norden des Lands zu überfallen — anscheinend auch, um Baker etwas mitzuteilen.

Die Tat des Krankenpflegers aus Gaza, Mustafa Hasan Abu-Dschalala, gilt selbst bei seinen Verwandten und Freunden als unerklärlich. Nachbarn beschreiben die Familie als eine ruhige, die nie besondere Schwierigkeiten mit den Militärbehörden hatte. Gegen Anfang der Intifada, dem Ende 1987 ausgebrochenen Aufstand gegen die israelische Besatzung, wurde ein Cousin von Abu-Dschalala von Soldaten totgeschlagen; er selbst sei auch einige Male geschlagen und gedemütigt worden, aber — so die Nachbarn — „nicht in einem ungewöhnlichen Ausmaß“. „Er hatte keinen Grund, die Israelis mehr zu hassen als wir alle“, sagt eine Bekannte.

Prominente Palästinenser von der Westbank und dem Gaza-Streifen beeilten sich, den vierfachen Mord in Jerusalem als „die Tat eines Geistesgestörten“ zu verurteilen. Sie dürfe „die politischen Kontakte, die im Entstehen sind, nicht unterbrechen“. Und auch die große Mehrheit der Palästinenser in den besetzten Gebieten sieht ein, daß sich ihre Chancen, an den anstehenden Entscheidungen über ihr Schicksal beteiligt zu sein, durch eine solche Tat kaum verbessert werden. Dennoch löst sie keine Empörung aus. „Die Lage in den besetzten Gebieten ist heute schlimmer als zu jedem anderen Zeitpunkt seit dem Beginn der Besatzung 1967. „Daß hier einer durchdreht, braucht keinen zu wundern“, sagt ein palästinensischer Journalist aus Gaza.

Das Aufheben der Ausgangssperre, die beim Ausbruch des Golfkriegs über die gesamten besetzten Gebiete verhängt wurde und fast ohne Unterbrechung in Kraft blieb, hat zu keiner großen Verbesserung der Lebensbedingungen auf der Westbank und im Gaza-Streifen geführt. Viele Bauern haben ihr ganzes Vermögen durch die Ausgangssperre verloren, da ihnen nicht erlaubt wurde, ihre Felder zu ernten.

„Daß hier einer durchdreht, braucht keinen zu wundern.“

Von den rund 110.000 Palästinensern, die vor dem Krieg in Israel ihren Lebensunterhalt verdienten, haben bisher nur rund ein Fünftel die dafür notwendige Sondergenehmigung wieder erhalten. Schwarzarbeiter aus den besetzten Gebieten, die in den langen Jahren der Besatzung zu einer Stütze nicht nur der palästinensischen, sondern auch der israelischen Wirtschaft geworden waren, haben jetzt keine Möglichkeit, nach Israel zu kommen. Auf alten Straßen, die von der Westbank oder dem Gaza-Streifen über die „grüne Linie“ führen, werden an den Sperren strenge Kontrollen durchgeführt. Selbst Palästinensern, die die notwendigen Papiere besitzen, ist es verboten, sich in Tel Aviv, Haifa oder Jerusalem aufzuhalten.

Eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht. In der israelischen Regierung werden Pläne ausgearbeitet, um die Einwanderer aus der Sowjetunion dort einzusetzen, wo früher Araber aus den besetzten Gebieten beschäftigt wurden. Zudem wird überlegt, Fremdarbeiter aus Jugoslawien oder Rumänien zu importieren, anstatt die Grenzen Israels den Palästinensern aus der Westbank und Gaza wieder zu öffnen. Da in den letzten zwanzig Jahren fast alle Versuche, eine eigenständige Wirtschaft in den besetzten Gebieten aufzubauen, von der Besatzungsmacht im Keim erstickt wurden, sind die in Israel verlorenen Arbeitsplätze dort nicht zu ersetzen.

Ihre in jedem Sinne ausweglose Situation wird vielen in den besetzten Gebieten noch klarer durch die Ausweisungen anderer Palästinenser aus Ägypten, den Golfstaaten und Europa in den letzten Monaten. Während Israel die Ausreisebestimmungen für die Bewohner der besetzten Gebiete immer mehr verschärft, haben manche Länder — unter anderen auch die Schweiz — ihren Botschaften in Tel Aviv Anweisungen gegeben, an Palästinenser keine Visa mehr zu erteilen.

Die Entscheidung der US-Regierung, sofort nach Beendigung des Golfkriegs die Lösung der Palästinenserfrage oben auf ihre Prioritätenliste zu setzen, wie auch das ausdrückliche Bestehen der Amerikaner auf dem Prinzip „Land gegen Frieden“ wird von den meisten Palästinensern als positiver Schritt gesehen. Dennoch glauben nur wenige, daß die USA genügend wirtschaftlichen Druck ausüben werden, um die Schamir-Regierung zum Nachgeben zu zwingen. Die Meinung vieler Israelis, daß die Nahostreise Bakers zum Scheitern verurteilt ist, wird in den besetzten Gebieten weitgehend geteilt — zum einen, weil man nicht glaubt, daß die Regierung in Jerusalem auch unter enormem Druck ihren Standpunkt ändern wird, und zum anderen, weil die Palästinenser selbst fast völlig ignoriert werden.

Die Regierungen, mit denen Baker über die neue Ordnung in der Region diskutiert — Saudi-Arabien, Ägypten und Israel — gelten allesamt als der palästinensischen Sache feindlich eingestellt. Dabei wird von amerikanischer Seite immer wieder betont, daß Gespräche mit der PLO, die nach wie vor von den Palästinensern als ihr legitimer Vertreter gesehen wird, nicht in Frage kommen.

Zur Besichtigung eines Flüchtlingslagers in Gaza blieb US-Außenminister Baker bei seinem Besuch in Israel keine Zeit. Die besetzten Gebiete bekam er nur von einem Hubschrauber aus zu sehen, während ein israelischer General ihm ihre strategische Bedeutung zu erklären versuchte.

Für viele Palästinenser traf Baker in Jerusalem „Medien-Prominente“, nicht ihre Vertreter

In dem von Baker geäußerten Wunsch, mit einer kleinen Gruppe von Palästinensern aus den besetzten Gebieten — nicht jedoch mit einer Delegation der PLO — zu reden, witterte die palästinensische Führung den Versuch einer Spaltung zwischen den Palästinensern in den besetzten Gebieten und denen in anderen arabischen Ländern. Einige Fraktionen riefen so zum Boykott des Treffens mit Baker auf, während PLO-Chef Arafat das Problem zu umgehen versuchte, indem er von Tunis aus seine Genehmigung für die Gespräche erteilte.

Unter den Aktivisten in den besetzten Gebieten löste das Treffen der Gruppe palästinensischer Führer mit Baker allerdings keine Begeisterung aus. Zum einen, weil die zwölf Palästinenser, die von Arafat für das Treffen ausgesucht wurden, weitgehend als „Medien-Prominente“ angesehen werden, die kein politisches Gewicht unter den Massen in den Gebieten haben. (Die „wahre“ Führung in den Gebieten sind mehrheitlich entweder untergetaucht, deportiert worden oder sitzen in israelischen Gefängnissen). Zum anderen, weil man nicht glaubt, daß ein kurzes Gespräch — mehr oder weniger zwischen Tür und Angel — die Lösung eines so komplizierten Konflikts wie der zwischen Israel und den Palästinensern sehr viel näherbringen kann.

Baker ist nicht der erste US-amerikanische Außenminister, der nach Jerusalem gekommen ist, um Frieden zu stiften. Alle wurden willkommen geheißen, und heute segnet man das Andenken der vielen Pläne, die sie mitbrachten. Bei einem solchen Versuch, Anfang der 50er Jahre, erklärte Israels erster Premierminister David Ben-Gurion das grundlegende Problem so: „Die Amerikaner werden vielleicht einmal diese Region verlassen. Wir und die Araber werden aber bleiben.“ Vierzig Jahre später ist dies noch immer das einzige, worauf sich beide Seiten geeinigt haben.

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