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Kurdische Kleindealer: Ex und Haft

■ Strafverteidiger-Initiative sieht Justitia unter Druck / Jugendrichter bestreitet Veränderungen

25 Jugendliche aus Bremen sitzen in der Jugendvollzugsanstalt (JVA) Blockland — 21 von ihnen sind Kurden, die überwiegend beim Dealen mit kleinen Mengen Heroin geschnappt wurden. Während der Justizsenator für jugendliche Straftäter eigens einen „Arbeitskreis Haftvermeidung“ eingerichtet hat, während auch die Novelle des Jugendgerichtsgesetzes ausdrücklich darauf hinweist, daß U-Haft für Jugendliche nur in Ausnahmefällen verhängt werden darf, werden jugendliche Ausländer in Bremen zunehmend inhaftiert, behauptet die Initiative Bremer Strafverteidiger.

Ausländische Jugendliche werden wesentlich eher in U-Haft gesteckt als deutsche, ihre Haftbedingungen sind schlechter und sie erhalten häufiger Freiheitsstrafen ohne Bewährung, so die IBS. „Die öffentliche Diskussion über Ausländer und Drogen hat sich in die Justiz verlagert“, findet IBS-Vorsitzender Reinhard Engel. Strafverteidiger Wolfgang Müller-Siburg formuliert noch schärfer: „Die Justiz macht sich zum Büttel der Polizei.“ Ob dem so ist, diskutierten am Mittwoch in der Villa Ichon Richter, StrafverteidigerInnen, ein Sozialarbeiter aus der JVA Blockland und MitareiterInnen der Jugendgerichtshilfe.

Eine Gleichbehandlung ist nicht gegeben

An den Zahlen konnte auch Jugendrichter Bernward Garthaus nicht rütteln. Ursachen sieht er jedoch nicht in einem veränderten Klima in der Justiz, sondern in der Zunahme des Drogenhandels und verschärften Ermittlungen. Garthaus: „Wir produzieren nicht die Verfahren, sie kommen zu uns.“ Ein Vergleich zur Behandlung deutscher jugendlicher Straftäter sei nicht möglich, weil diese in der Realität nicht auftauchten.

Für Heinz-Bernd Vollmer, Sozialarbeiter in der JVA Blockland, ist in der Praxis „eine Gleichbehandlung nicht gegeben.“ Für die jungen Kurden gibt es keine Telefongespräche ohne richterliche Erlaubnis, Besuch dürfen sie nur im Beisein eines Vollzugsbeamten und eines Dolmetschers empfangen. Die U-Haft dauert in der Regel vier bis acht Monate. Dazu Garthaus: „Durch die Menge an Delikten kommt die Staatsanwaltschaft mit den Anklageschriften nicht nach.“ Er räumte ein, daß durch politischen Druck eine Beschleunigung der Verfahren und damit eine Verkürzung der U-Haft möglich sein müsse.

Die Notwendigkeit der U-Haft begründete Garthaus mit dem labilen sozialen Hintergrund der Kurden: Sie kämen meist allein, ohne Familie, nach Bremen, hätten hier oft nur undurchsichtige Onkel-und Vetternbeziehungen und eine unklare Wohnsituation. Vollmer bemängelte auch, daß bei den Verfahren die künftige Lebensgestaltung der Jugendlichen nicht mehr im Blick sei. Es werde nur noch abgeurteilt. Dazu Garthaus: „Wir können keine Lebensverbesserung anbieten. Der ungeklärte Asylstatus steht dem entgegen.“

Die Überprüfung der bestehenden Hilfsangebote wie Bewährungshäuser oder Arbeitsprogramme forderte eine Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe. Wegen sprachlicher und kultureller Barrieren seien junge Ausländer de facto von diesem Angebot ausgeschlossen. Überprüft werden müsse auch, ob die Inanspruchnahme von Jugendhilfemitteln ein Abschiebegrund sei. Alternativen zur Haft forderte auch Justizpressesprecher Jürgen Hartwig, Mitarbeiter des Arbeitskreises Haftvermeidung, denn: „Der Vollzug ist am Rande seiner Leistungsfähigkeit angekommen.“

asp

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