Digitale Solidarität: Verantwortung im Netz ist möglich

Die taz macht es vor: Haltung bewahren und Solidarität zeigen in schwierigen Zeiten.

Bild: Sebastian Baumeister

von Jann-Luca von Künßberg

Digitale Solidarität – kann es so etwas geben? Oft wirkt es so, als hätte das Internet viele seiner Versprechen gebrochen: Wo es zu radikaler Demokratisierung kommt, entsteht noch mehr Hass und Hetze. Wo Algorithmen das Leben erleichtern sollen, sind sie mit undurchsichtiger Funktion am Werk, werden Positionen technisch marginalisiert und bleiben Stimmen ungehört. Doch es gibt positive Beispiele. Bei der #metoo-Debatte überwogen nicht erst am Ende aufklärerische Gedanken und mit ihnen der Fortschritt.

Bei den Demokratiebewegungen in Hongkong und aktuell in Myanmar spielt die digitale Vernetzung von Aktivist*innen eine essentielle Rolle für deren Organisation. Gerade erst hat Facebook der dortigen Militärregierung den Zugang zu dem Netzwerk gesperrt, um die Demonstrant*innen zu stärken. Das ist begrüßenswert. Und doch sollte es nicht darüber hinwegtäuschen, dass Facebook mindestens dem Anschein nach nur opportun handelt.

Den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump sperrte das Netzwerk erst nach der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar diesen Jahres. Wohlgemerkt nach einer absurden Zahl von Lügen und Falschinformationen vor und während dessen Amtszeit und erst, als es politisch besonders billig war, weil zumindest zu vermuten war, dass auch einige seiner Parteifreund*innen und Wähler*innen ihm doch den Rücken kehren würden. Noch vor solch wirkmächtigen Entscheidungen durch die CEOs urteilen Algorithmen über digitale Inhalte. Ob sie Solidarität kennen, ist fraglich.

Regulation versus Autonomie

Vor kurzem wurde das Satire-Magazin „Titanic“ wegen anstößiger Titelseiten aus dem Google Playstore entfernt. Ob ursprünglich von Mensch oder Maschine veranlasst, ist bislang unklar. Zwar ist die Entscheidung wieder rückgängig gemacht worden und der Konzern hat sich entschuldigt. Die Fälle zeigen aber: Sowohl die Technik, als auch die Konzernlenker berühren Säulen der Verfassung an empfindlichen Stellen – ohne demokratische Legitimation.

n Australien wurde gerade ein neues Mediengesetz verabschiedet, das die Plattformen zu finanziellen Gegenleistungen für journalistische Inhalte von Verlagen verpflichtet. Während der Verhandlungen hatte Google damit gedroht, sich vom australischen Markt zurückzuziehen und Facebook sperrte vorübergehend nachrichtliche Inhalte in dem Land. Am Ende einigte sich die Regierung mit beiden.

Auch in anderen Ländern werden derart regulatorische Maßnahmen diskutiert und in Deutschland steht bis Juni die Umsetzung einer EU-Richtlinie für ein ähnliches Gesetz an. Australien hat gezeigt, wie fragil die Infrastruktur aus dem Silicon Valley für die Distribution von digitalen Nachrichten im Angesicht der Macht von Tech-Konzernen ist – aber auch, wie hoch der Preis für staatliche Eingriffe werden könnte.

Einem linken Medium stellt sich zwangsläufig die Frage nach Regulation und der eigenen Autonomie.

Solidarität braucht gemeinsame Ziele

Was bedeutet all dies für digitale Solidarität? Sie bleibt im Wirkkreis der allgegenwärtigen Plattformen höchstens eine statistische Variable, über deren Erfolg Algorithmen entscheiden. Das Internet ist aber immer noch mehr als monopolistische Plattformen. Das Internet sind alle, die es benutzen. Genau wie bei verantwortungsvollem Konsum hat jede*r Nutzer*in selbst in der Hand, wo sie bestellt, welche Daten er wo preisgibt, auf welchen Kanälen sie sich äußert und wo er seine Informationen sucht. Kann es also digitale Solidarität geben?

Solidarität braucht zuerst eine Gemeinschaft mit gemeinsamen Zielen. Die taz-Genossenschaft ist so eine Gemeinschaft. Die über 21.000 Genoss*innen teilen das Ziel, eine unabhängige Berichterstattung sicherzustellen. Das Pandemiejahr hat gezeigt, dass das auch digital funktioniert: Die Mitgliederversammlung im vergangenen September fand zum ersten Mal online statt und hatte so viele Teilnehmer*innen wie nie zuvor.

Das freiwillige Bezahlmodell taz zahl ich beruht auf dem Prinzip der Solidarität und verzeichnet von Jahr zu Jahr Zuwächse. Natürlich also ist Solidarität im Netz möglich. Sie braucht aber einen Raum, um sich zu entfalten. Die Genoss*innen schaffen mit der taz so einen Raum. Einen offenen Raum, der gemeinsam gestaltet werden kann und andere zum Mitmachen einlädt.