: König Richard von Berlin
■ Betr.: "Weizsäcker will nicht allein nach Berlin", taz vom 11.3.91
Betr.: „Weizsäcker will nicht allein nach Berlin“, taz vom 11.3.91
Bekanntlich bestimmt bei uns der Bundeskanzler verfassungsgemäß die Richtlinien der Politik. Da gehört es sich nicht, daß der Herr Bundespräsident schon seit Jahren eine Art Nebenkanzler spielt, der viel zu oft ins politische Tagesgeschehen eingreift mit der Anmaßung, quasi das personifizierte Über-Ich aller Deutschen zu sein. Daß er dabei in der Vergangenheit besonders den Beifall von SPD und FDP fand, hat viele Anhänger und WählerInnen der CDU/ CSU verstimmt, ohne deren Wahlabgabe Richard Weizsäcker nie so hoch aufgestiegen wäre, was er aber wohl heute zu vergessen beliebt.
Bezüglich der zu erfolgenden Wahl der neuen deutschen Hauptstadt weiß doch jeder psychologisch erfahrene Beobachter, daß der Präsident, obwohl er immer auf bescheiden macht, ein rechter Narziß ist, der lieber im metropolen Berlin wie ein Sonnenkönig Hof halten möchte als in dem zugegeben provinzielleren Bonn die zweite Geige spielen zu müssen. Unsere angeblich so respektlosen Journalisten übersehen aber weitgehend den Faktor Eitelkeit bei dem Liebling der Medien, König Richard von Berlin, Oberschleimer von Bonn.
Bekanntlich sind die deutschen Erfahrungen mit Berlin eher gemischt. Die Deutschen brauchen zur Findung ihrer Identität (Selbstverständnis) keinen Metropolenmoloch wie Berlin, wie einige fragwürdige, an vergessen geglaubte deutsche Großmannssucht erinnernde Argumente vorgaukeln wollen. Und die Probleme des Zusammenwachsens von DDR und BRD werden auch nicht dadurch besser lösbar, wenn eine mögliche Hauptstadt Berlin mitten im Elendsgebiet liegt. Vielmehr gebietet es die Vernunft, in einem längeren Gewöhnungsprozeß mit sowohl Bonn als auch Berlin in ähnlichem Status zu arbeiten, weil beide Städte deutsche Identität gestiftet haben. Eine Entscheidung zwischen den beiden Städten kann dann, wenn überhaupt noch notwendig, in Ruhe getroffen werden. H. Jürgen Schäfer, Frankfurt
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