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Moslemische Zaungäste in einer weißen Stadt

In Spaniens nordafrikanischer Enklave Melilla teilen sich die Herzen/ Berber bleiben lieber spanische Staatsangehörige, doch der Ruf des Islam wird gehört/ Die Obrigkeit wiegelt ab und verstärkt Grenzkontrollen/ Diskriminierung der Berber fördert Identifikation mit der arabischen Welt  ■ Aus Melilla Antje Bauer

Die Avenida König Juan Carlos I., ehemals Avenida des Generalissimo Francisco Franco, träumt von vergangener Pracht. An den ockerfarbenen Kolonialbauten bröckelt der Putz, die schmiedeeisernen Balkongitter haben Rost angesetzt. Auf dem Trottoir spazieren ältere Herren gemächlich mit Hut und Stock, gelockte Damen im wadenlangen Rock verzehren in winzigen Stehkonditoreien süße Teilchen. Die Avenida beginnt am Spanischen Platz und führt über den Platz des Spanischen Heeres bis hin zum Platz des Kommandanten Benitez.

Militärisch sind nicht nur die Straßennamen von Melilla, militärisch ist auch das Umfeld der Stadt: Auf den Hügeln ringsum liegen Kasernen, in denen Rekruten und Legionäre die Stadt vor einem möglichen Ansturm von außen zu schützen lernen. Als spanische Enklaven auf dem afrikanischen Kontinent bilden Melilla und ihre Partnerstadt Ceuta die südlichsten Grenzstädte der EG.

Vor der Stadt liegt das Meer. Acht Stunden braucht das Schiff bis Malaga, der nächsten Verbindung zum spanischen Festland. Über die sanften Hügel rings um Melilla herum zieht sich ein Zaun aus Stacheldraht, jenseits liegt Marokko. An vier Stellen macht dieser Zaun einem Grenzübergang Platz. Ein ärmliches Häuschen mit einer spanischen Fahne und ein paar Grenzpolizisten. In ein paar Metern Entfernung ein noch ärmlicheres Häuschen mit marokkanischem Zubehör. An wenig besuchten Grenzübergängen kann man gelegentlich ein Auto halten sehen, aus dem jemand eine große Kiste auslädt, die er sich auf die Schultern hebt und ins Nachbarland trägt.

Melilla ist Freihafen und lebt vom Verkauf von Küchenmaschinen, Hifi-Geräten und Videos, Taschenrechnern und Uhren aus Taiwan, die sich in den Läden der Avenida stapeln. Die Kunden kommen aus der nahegelegenen marokkanischen Kleinstadt Nador, tätigen ihre Käufe zumeist en gros und bringen ihre Ware unter Umgehung der Zollgebühren über die Grenze. Nach Angaben von Einheimischen kommt es billiger, die Zollbeamten zu schmieren als schwarz über die gut übersehbare Grenze zu gehen und womöglich erwischt zu werden. Von Nador aus werden die Artikel über ganz Nordafrika verteilt. Als vor geraumer Zeit bekannt wurde, daß Marokkaner ab dem 1. März ein Visum benötigen, um nach Spanien einzureisen, ging ein Aufschrei durch Ceuta und Melilla. Zwar bestand Verständnis dafür, daß die EG auch diese Südgrenze für Arbeitsimmigranten undurchlässig machen wolle, doch fürchteten die Händler der Stadt den wirtschaftlichen Garaus durch diese Maßnahme. Die Regierung in Madrid fand einen Kompromiß: Marokkaner, die in der Umgebung von Ceuta und Melilla leben, benötigen für die Einreise in die beiden Enklaven nur einen Paß ohne Visum, und selbst für die Ausstellung des Passes haben sie ein Jahr Zeit. Auf das Festland weiterreisen dürfen sie freilich nicht.

Süße Augen machen und Hand aufhalten

Melilla ist nicht nur von Marokko umgeben, ein Drittel seiner Bewohner (20.000) sind Berber, Verwandte der Marokkaner jenseits der Grenze. Offiziell sind sie Spanier. In der Avenida der spanischen Stadt Melilla ist jedoch wenig von ihnen zu sehen. Einige stehen am Spanischen Platz und flüstern Ausländern zu „Change, cambio“. Andere bieten den Passanten der Einkaufsstraße falsche Lacoste-Hemden an, die sie sich über den Arm gehängt haben. Manchen ist es gelungen, einen Posten bei der Stadtverwaltung zu ergattern — als Straßenfeger. Sechsjährige zerlumpte Schuhputzer belagern die Cafés in der Hoffnung auf Kunden. Ihre kleineren Geschwister machen unterdessen den Passanten süße Augen und halten die Hand auf. Sie sind dunkelhäutige Zaungäste in einer weißen Stadt.

Ihre Welt beginnt wenige Meter hinter dem Platz des Kommandanten Benitez. Die kolonialen Prachtbauten machen hier bescheidenen, niedrigen Häuschen Platz, die Straßen sind enger und schmutziger. Und vor allem voller. Beidseits der Straße sitzen in einer langen Reihe Marokkaner vor Kisten voller Gemüse, auf Tapeziertischen werden gebrauchte Kleider verkauft, nebenan hat ein alter Mann in Burnus und rotem Fes verrostete Eisenteile vor sich auf dem Boden ausgelegt. Dazwischen ein Gewimmel von Frauen in weißen langen Kleidern mit halb verschleiertem Gesicht, zerlumpten Kindern, ein alter Mann versucht, seinen Esel durch die Menge zu treiben. Hier wird nicht Spanisch gesprochen, sondern Chercha, die Sprache der Berber. Und wenn mittags von der nebenan gelegenen weißen Moschee der Muezzin zum Gebet ruft, dann leeren sich die Straßen, und die Gläubigen eilen zum Gebet.

Der Platz vor der Hauptmoschee war wochenlang der bevorzugte Kundgebungsort von Abdurrahman und Jahfar. Abdurrahman ist Führungsmitglied der Moslem-Organisation „Terra Omnium“, Jahfar leitet das von ihm mitbegründete „Komitee für die Würde des islamischen Golfs“. Wenn die beiden in ihrem klapprigen Peugeot vor der Moschee hielten und aus den auf dem Dach montierten Lautsprechern zur Solidarität mit dem irakischen Volk aufriefen, bildete sich sofort eine Traube von Neugierigen und Sympathisanten um sie. Beide haben seit Beginn der Golfkrise Demonstrationen gegen die Intervention der Alliierten im Irak organisiert, die allerdings nur je etwa 1.000 Teilnehmer fanden. Sie forderten „Solidarität, nicht mit Saddam Hussein persönlich, sondern mit dem Schwächeren, mit dem irakischen Volk“, erklärt Abdurrahman in einem Café gegenüber der Moschee. Im Erdgeschoß orgelt ein Fernseher, das Obergeschoß hat der Besitzer, ein Sympathisant der radikalen Moslems, diesen für Versammlungen freigehalten.

Abdurrahman ist 28, zierlich. In seinen Jeans und mit seiner Lust am Reden könnte er ein spanischer Studentenführer sein. Doch nicht nur sein etwas gebrochenes Spanisch unterscheidet ihn von den Festlandspaniern. „Ich kann nicht verstehen, daß in Spanien ganz allgemein gegen den Krieg demonstriert wurde“, klagt er, „Pazifismus kann doch nicht neutral sein, man muß sich entscheiden.“ Daß es nicht nur um Solidarität mit dem Schwächeren geht, macht Jahfar deutlich: „Durch den Golfkrieg wollen die USA eine Hegemonie in der Region errichten. Sie können es nicht ertragen, daß sich ein Land den kapitalistischen Thesen nicht beugt und außerdem über ein militärisches Potential verfügt, das es in die Lage versetzt, in der Region eine andere politische Ordnung einzuführen“, erklärt er heftig.

Mit Melilla drückt König Hassan auf Spaniens Portemonnaie

Jahfar ist Mitte zwanzig und hat im marokkanischen Fes studiert. Beide sind zur Zeit arbeitslos. Mit der „anderen politischen Ordnung“ meint Jahfar eine vage, islamische Zukunft: „Es geht darum, daß dieses kriegerische Potential in jedem Augenblick in die Hände einer anderen Strömung wie etwa dem Islam geraten kann, und das wäre eine große Gefahr für die Interessen der Amerikaner in der Region.“ Als Beispiel für eine antiimperialistische Macht, die es den Vereinigten Staaten gezeigt hat, führen beide den Iran an. „Dieser Krieg ist der Wecker, der die moslemische Welt aufwecken wird“, prophezeiht Jahfar pathetisch. „In der moslemischen Welt haben der Kapitalismus, der Sozialismus, der Liberalismus, hat selbst der arabische Nationalismus versagt. Die einzige verbleibende Alternative ist der Islam!“

Die Mobilisierungen der radikalen Moslems haben in der nichtmoslemischen Gemeinschaft Melillas eine gewisse Besorgnis ausgelöst. Die beiden spanischen Enklaven Ceuta und Melilla sind vom marokkanischen König Hassan schon immer gerne als Druckmittel gegenüber der spanischen Regierung eingesetzt worden, um finanzielle Zuwendungen zu erhalten und die spanische Unterstützung für die sahaurische Befreiungsfront „Polisario“ zu unterbinden. Doch während für König Hassan die Einforderung der beiden Städte einen politischen Trumpf darstellt, den man bei Bedarf aus der Tasche zieht, verlangt die marokkanische nationalistische Oppositionspartei „Istiqlal“ die Marokkanisierung der beiden Städte immer heftiger.

Eine islamische Revolution in Marokko könnte dem kolonialen Frieden in Ceuta und Melilla ein schnelles Ende bereiten. Zwar bemüht sich die Delegation der Regierung, der lange Arm Madrids in den Provinzen, diese Befürchtungen zu zerstreuen, doch für alle Fälle sind nach Angaben des Delegierten Manuel Cespedes seit einiger Zeit die Grenzkontrollen verstärkt worden, und just in diesen Tagen finden in Melilla Manöver von US-Marines und spanischen Legionären statt, bei denen ein Angriff auf die Stadt simuliert wird.

In der jüdischen Gemeinde wird die Beunruhigung heruntergespielt. 1.300 Juden leben hier, besuchen zehn Synagogen und schicken ihre Kinder in die jüdische Schule. „Wir sind eine kleine und konservative Gemeinschaft“, erklärt David Oacnin, „und wünschen Probleme mit niemandem. Wir pflegen zwar keine engen Beziehungen mit den Moslems, aber im täglichen Zusammenleben gibt es keine Konflikte.“ So auffällig die Moscheen der Moslems sind, so unauffällig sind die Synagogen in der Stadt versteckt. Und so einfach es war, mit den Führern der moslemischen Organisationen in Kontakt zu kommen, so schwierig ist ein Gespräch mit Herrn Oacnin. Über den Golfkrieg will er sich lieber nicht äußern, aber daß sein Herz für den Westen — und vor allem für Israel — schlägt, steht außer Zweifel.

„Seit ich den Islam entdeckt habe, geht es mir gut.“

Vom friedlichen Zusammenleben reden alle in Melilla. Auch Abd el- Kerim. Er ist islamischer Aktivist und lebt in der Canada de la Muerte, einem Moslemviertel außerhalb der Stadt. Vor zehn Jahren war es noch ein Slum: Armselige Hütten ohne Wasser und Strom, in denen Hunger und Krankheiten und Angst vor der Obrigkeit herrschte. Als die spanische Regierung 1985 ein neues Ausländergesetz verabschiedete, das — im Hinblick auf die Abschottung Europas nach außen — die im Lande lebenden Ausländer kontrollieren sollte, wurden die Moslems, die seit eh und je in Ceuta und Melilla lebten, plötzlich zu Bürgern zweiter Klasse.

Da sie die spanische Staatsangehörigkeit nicht besaßen, sollten sie plötzlich keine Läden und keine Häuser mehr kaufen dürfen, das Recht auf Unterricht in der eigenen Sprache hatten sie schon vorher nicht gehabt. Terra Omnium, damals eine starke Organisation, organisierte den Kampf der Moslems um die spanische Staatsangehörigkeit. Über Monate hinweg fanden im verschlafenen Melilla Straßenschlachten statt, ritt die Polizei in der Canada de la Muerte ein und prügelte. Schließlich gab die Regierung nach. Von den etwa 20.000 Moslems haben heute ungefähr 19.000 die spanische Staatsangehörigkeit. Seither hat sich auch die soziale Situation in der Canada de la Muerte gebessert: Die Bewohner haben an Stelle der Hütten nach und nach quaderförmige niedrige Häuser gebaut, die Stadtverwaltung ließ Wasser und Strom legen und die engen Gassen notdürftig mit Zement ausgießen. Die Kinder, die damals den ganzen Tag in den Straßen herumlungerten, besuchen heute fast alle die Schule — auch wenn es mit dem Unterricht in Chercha noch immer hapert.

Doch trotz des deutlichen Fortschritts sind die Moslems Bürger zweiter Klasse geblieben. „Wir wollen friedlich in Melilla zusammenleben. Aber gleichberechtigt. Und das sind wir nicht,“ kommentiert Abd el- Kerim bitter. „Arbeitslosigkeit gibt es überall. Aber hier ist sie am schlimmsten. Hier im Viertel hat kaum einer Arbeit. Manche verkaufen Klamotten in der Stadt oder dealen. Die meisten sitzen den ganzen Tag im Café und tun nichts.“

Abd el-Kerim hat jahrelang auf dem spanischen Festland gelebt. Geklaut, gedealt, sich herumgetrieben. „Dann bin ich hierher zurückgekommen, habe den Islam entdeckt, und seither geht es mir gut.“ Der 25jährige trägt Bart, Käppchen und Gewand der frommen Moslems. In freundlichem Ton berichtet er, wie er als Kind im Viertel Steine nach amerikanischen Touristen warf und vor kurzem einem Pressefotografen den Film aus der Kamera zog, weil der „nur unwürdige Situationen aufnahm. Das ist Rassismus.“ Von Terra Omnium hält er nicht viel, das sind für ihn Extremisten, aber der Islam ist auch für ihn die Rettung der moslemischen Welt, der Schutzschild gegen den diskriminierenden Westen.

Hoffnung auf den Rockzipfel Europas

„Ich glaube nicht, daß die Leute heute religiöser sind als früher. Jedoch hat die islamische Welt eine Reihe frustrierender Situationen erleben müssen, die sie zu ihren Ursprüngen zurückgebracht hat“, erläutert Abdelkader Mohammed. Zu den Hochzeiten von Terra Omnium war er einer der Führer der Organisation, doch inzwischen will er von der Gruppe nichts mehr wissen und hat vor kurzem die Kulturvereinigung Neopolis gegründet. Als Besitzer eines Modegeschäfts in der Avenida gehört er zu den wenigen arrivierten Moslems. „Es gibt hier eine radikale Minderheit, die versucht, aus der geopolitischen Situation Profit zu schlagen und Unruhe zu stiften. Aber die werden nicht viel davon haben. Denn die Leute hier wollen in Frieden leben, Geld verdienen, am Fortschritt teilhaben. Und der Fortschritt sitzt nun mal in Europa und nicht in Asien oder Afrika.“

Für Melillas Moslems ist es — zumindest bislang — vorteilhafter, Spanier zu sein, als Marokkaner zu werden. „Wir kämpfen hier gegen die Repression von Seiten der spanischen Regierung — aber das marokkanische Regime hat vom spanischen in punkto Demokratie noch eine Menge zu lernen“, räumt selbst Abdurrahman von Terra Omnium ein. Doch in die Erwartung, in absehbarer Zeit gleichberechtigt am Fortschritt der spanischen Gesellschaft teilnehmen zu können, mischt sich immer mehr Wut. „Wir sind noch immer eine Randbevölkerung hier. Weder im Rathaus noch im Finanzamt noch in sonst einer Behörde arbeiten Moslems. Es gibt Leute, die seit zwanzig Jahren auf die Genehmigung warten, einen Laden zu eröffnen, obwohl sie hier geboren sind und ihren Wohnsitz hier haben. Wer kann das ertragen?“ fragt bitter Sidi Driss, das Oberhaupt der moslemischen Gemeinschaft. In rotem Fes und makellosem, schwarzem Burnus sitzt er elegant im Café gegenüber der Hauptmoschee. Der würdige ältere Herr ist vor kurzem nach dreijährigem Exil aus Marokko nach Melilla zurückgekehrt. Die Diskriminierung, der die Moslems hier ausgesetzt sind, hat auch bei Sidi Driss die Solidarität mit dem Irak gefördert: „Wo Unrecht geschieht, muß man dagegen kämpfen. Und Amerika operiert dort wegen seiner Interessen am Öl und wegen Israel. Dieser Krieg wird sehr lange dauern, selbst wenn er offiziell aufgehört hat.“

Von der Moschee ruft der Muezzin zum Abendgebet. Sidi Driss rafft seinen Burnus und geht. In der Avenida rattern die Gitter vor den Duty- Free-Shops herunter. Ein Militärjeep fährt Streife. Alles ruhig in Melilla.

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