Neuer Anlauf Rußlands zur Reform Abgrenzung der Kompetenzen

Moskau (ap/taz) — Die leidgeprüfte, in ihrem Reformeifer stets von der sowjetischen Zentrale frustrierte Regierung der russischen Föderation hat am Mittwoch ein neues Wirtschaftsreformprogramm für die nächsten zwei Jahre vorgelegt. Ein weiteres Mal wird die Marktwirtschaft avisiert und die Gleichberechtigung privater und staatlicher Eigentumsformen proklamiert. Interessanter als diese Gemeinplätze, die auf einen Kompromiß mit der Zentrale hin formuliert sind, ist die Forderung nach sofortigen Verhandlungen mit der Unionsregierung. Es geht um die Abgrenzung der Kompetenzen in der Wirtschaftspolitik und die Aufteilung des Eigentums an Produktionsmitteln zwischen Rußland und der Union. Selbst der letzte, vom Föderationsrat gebilligte Entwurf des Unionsvertrages war in der Kompetenzverteilung über vage Formulierungen nicht hinausgelangt. Die russische Föderation, die sich künftig „Republik Rußland“ nennen will, fordert außerdem, daß die nachgeordneten, „unteren“ sowjetischen Exekutivorgane, soweit sie auf russischem Territorium arbeiten, ihr bedingungslos zu unterstellen sein werden.

Bitter für die Menschen Rußlands wird der 2. April. Zu diesem Datum sollen die mehrfach verkündeten und immer wieder — zuletzt wegen der Abstimmung zum Unionsvertrag — hinausgeschobenen Preiserhöhungen in Kraft treten. Die Steigerungsraten bis 300 Prozent bei Gütern des täglichen Bedarfs sollen durch Pauschalerhöhungen der Löhne und Renten ausgeglichen werden. Die russische Regierung hat die arbeitende Bevölkerung vorsorglich aufgerufen, bei Streiks eine „Denkpause“ einzulegen.

Was die sowjetische Bevölkerung längst weiß, wird jetzt auch den westlichen Unternehmensberatungen klar: Es kommt noch schlimmer. Zu „größter Vorsicht“ mahnte das französische Außenhandelszentrums CFCE mögliche Investoren in der UdSSR. Das Jahr 91 werde einen Rückgang des Bruttosozialprodukts zwischen 10 und 50% und eine Steigerung der Inflation von 60% bis unendlich bringen. C.S.