: China erneuert Angriffe auf Dalai Lama
Peking mobilisiert „Experten“ im Dienste der Kampagne gegen Tibet ■ Aus Peking Simon Long
In dieser Woche hat China seine Angriffe auf das geistige Oberhaupt Tibets, den Dalai Lama, erneuert. Er sei, so ein Sprecher des Außenministeriums, ein „politischer Exilant, dessen Aktivitäten auf die Spaltung des Mutterlandes gerichtet sind“. Mit dem Näherrücken des 23. Mai hat die gegenwärtige chinesische Propagandakampagne zur Rechtfertigung der 40jährigen Kolonisierung Tibets an Schärfe gewonnen.
An jenem Tag jährt sich die Unterzeichnung des „17-Punkte-Abkommens“ von 1951 zwischen der damaligen Regierung des Dalai Lama und der Zentralregierung in Peking. Auf dieses Abkommen, in dessen Präambel festgehalten wurde, daß „Tibet ein Teil Chinas“ ist, beruft sich Peking als historischen Schlüsseltext, der den chinesischen Herrschaftsanspruch legitimiere. Die amtliche chinesische Nachrichtenagentur hat jüngst massenweise statistische Daten veröffentlicht, die die wirtschaftlichen Fortschritte in Tibet unter kommunistischer Herrschaft beweisen sollen. In Peking findet ein „Expertenseminar“ statt, auf dem „das grausame, feudale System“ des alten Tibet diskutiert wird, wo „fast eine Million Tibeter als Leibeigene ohne irgendwelche Grundrechte lebten“.
Ein Element dieser Propagandakampagne war eine Pressekonferenz in dieser Woche mit dem Mann, der das 17-Punkte-Abkommen auf seiten Tibets unterzeichnet hat. Das Auftreten des vitalen 80jährigen Ngapoi Ngawang Jigme in seinem tadellos sitzenden westlichen Anzug machte es schwer, ihn mit den Nomaden in Verbindung zu bringen, die mit ihren abgerissenen Mänteln über das tibetische Weideland ziehen. Jigme gilt bei einigen Tibetern als Verräter, wiewohl andere ihm zugute halten, daß er einen mäßigenden Einfluß auf die chinesiche Herrschaft gehabt habe. Er ist der einzige noch lebende hochrangige lokale Funktionär der damaligen Regierung des Dalai Lama.
Seine Unterschrift sei unter Zwang zustande gekommen, haben tibetische Kreise behauptet. Und: die tibetischen Delegierten hätten damals versucht, die Unterzeichnung herauszuzögern, in dem sie gesagt hätten, das Abkommen würde ungültig ohne einen offiziellen Regierungsstempel. Daraufhin habe, so will es die Legende, China einfach einen gefälscht. Das „ist ein Gerücht, das nicht auf den Tatsachen beruht“, erklärt Herr Jigme. Doch das Abkommen beinhaltet auch die Zusage von seiten Chinas, sich nicht in das politische System Tibets einzumischen. Das sei, meint Jigme, durch den bewaffneten Aufstand von 1959 „sabotiert“ worden, nach dem der Dalai Lama nach Indien mit Zehntausenden seiner Anhänger ins Exil floh.
Jetzt „ist Tibet stabil“, behauptet Jigme. Das ist dann doch nicht sehr wahrscheinlich — allerdings schwer zu widerlegen, denn noch immer haben nur sehr wenige ausländische Journalisten die Erlaubnis erhalten, nach Tibet zu reisen. Offizielle Presseberichte über jüngste Massenschauprozesse in Tibet, bei denen unter anderen „politische Verbrecher“ verurteilt wurden, weisen eher auf weiterbestehende Spannungen hin. Dies wird bestärkt durch Berichte, denen zufolge die Straße um den Jokhang Tempel, einem der wichtigsten Heiligtümern Lhasas, aufgerissen worden ist — eine Maßname, die zur Verhinderung von Massenprotesten dient. So läßt sich der Schluß kaum vermeiden, daß die Tibeter in diesem Jahr — weit davon entfernt, 40 Jahre Befreiung zu feiern — über 40 Jahre Besetzung trauern.
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