: Grüne Kaffeefahrt in die Koalition
Grüne Landesversammlung stimmte den rot-grünen Vereinbarungen mit großer Mehrheit zu / Künftige Sozialministerin Iris Blaul versprach materielle Hilfe für Frauenprojekte ■ Aus Darmstadt Heide Platen
„Das ist ja hier wie auf einer Kaffeefahrt“, stellte ein grüner Delegierter gestern Vormittag schon zu Beginn der Landesversammlung der hessischen Grünen fest. Rund 350 Delegierte und einige interessierte Mitglieder tröpfelten so nach und nach in die Betonhalle des Audimax der Technischen Hochschule Darmstadt. Sie wollten eigentlich nur eines: das rot-grüne Koalitionsergebnis so schnell wie möglich absegnen, denn draußen lockte die Sonne verlockend zu einem Frühlingsspaziergang.
Die Streitereien vergangener Landesversammlungen sind hinter dem realpolitischen Alltag verschwunden. Mit nachgerade wehmütiger Reminissenz kommentierte eine Grüne das Eintreffen der FundamentalistInnen Jutta Ditfurth und Manfred Zieran: „Oh, die Fundis kommen zu zweit!“
Tatsächlich stand von Anfang an nicht in Frage, daß die Versammlung ihr Plazet für die Koalitionsvereinbarungen mit der SPD geben würde, auch wenn hier und dort in Anträgen der Versuch der Nachbesserung unternommen wurde. Der Antrag des Kreisverbandes Marburg-Biedenkopf, nur ja das Amt des Tierschutzbeauftragten nicht abzuschaffen, rannte ohnehin offene Türen ein.
Die frischgebackene Sozialministerin Iris Blaul, in deren Ressort der Tierschutz künftig fällt, stellte fest, daß sie das ohnehin nicht vorgehabt habe — im Gegenteil. Blaul: „Seltsamerweise haben wir gerade dazu eine Schwemme von Post bekommen.“
Iris Blaul versuchte in der Vorstellung ihres Konzeptes dann die Quadratur des Kreises: Sie versprach den Frauen- und Mädchenprojekten, für die sie in der neuen Ressortaufteilung statt der SPD-Frauenministerin Heide Pfarr zuständig sein wird, Verbesserungen durch den „direkten materiellen Zugriff auf die Ressourcen“, also auf das Geld. Andererseits, und das wird das Dilemma der neuen Landesregierung sein, ist kein Geld da.
Dem trug der designierte Umweltminister Joschka Fischer Rechnung, der sich vehement für die Hilfe für die neuen Bundesländer einsetzte. Und nicht nur das werde Geld kosten, sondern auch der dringend notwendige Wohnungsbau stünde einer schnellen Finanzierung grüner Lieblingsprojekte durch das ohnehin leere Staatssäckel vorerst entgegen.
Sich zu bescheiden, das war durchgängig die Message seiner — nur stellenweise mit gewohntem Schwung vorgetragenen — Rede.
Fischer, der mit ernsthaftem Widerstand ohnehin nicht rechnen mußte, verstärkte vielmehr den Eindruck der Kaffeefahrt ins neue Regierungsbündnis. Er verkaufte die Koalitionsvereinbarungen, die Partei futterte derweil die Kuchenbleche im Foyer leer. Schon vor dem Vollkorn-Nudelauflauf zum Mittagessen hatte er die kritischen Punkte genannt: Straßenbau-Projekte und Energiepolitik.
In allen strittigen Punkten, sagte Fischer, könne „der Sack der Kontroversen“ nicht wiederaufgemacht werden. Wenn sich die grüne Landesversammlung jetzt noch einmal gegen die Schnellbahntrasse ausspreche, stünden für die SPD auch wieder der Feldberg-Zubringer und der Flughafen Erbenheim zur Diskussion: „Wir müßten Kompromisse machen.“ Dies alles wolle er vor Ort an „runden Tischen“ mit den Betroffenen diskutieren.
Die leise Kritik von der Basis endete denn auch immer wieder mit dem exemplarischen Satz einer Delegierten: „Ja zum Koalitionsergebnis! Uns bleibt ja auch gar nichts anderes übrig.“ Daß die hoffnungsvolle Erwartung überwog, machte, eine Stunde früher als erwartet, kurz nach 14 Uhr, das Ergebnis deutlich: Elf Delegierte lehnten ab, die überwältigende Mehrheit stimmte mit der gelben Karte zu.
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