: Die Erfüllung eines Lebensziels
■ In Potsdam steht die Gründung einer jüdischen Gemeinde bevor: Die erste nach der Einheit
Potsdam. Im September, zu Beginn des Jahres 5257 jüdischer Zeitrechnung, wird es in Potsdam wieder eine jüdische Gemeinde gegen. Es wird die erste Wiedergründung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nach 1945 sein. Mit Vehemenz betreibt Theo Goldstein, der einzige in Potsdam lebende deutsche Jude, die Vorbereitung des bedeutsamen Aktes. Für ihn sei die neue Jüdische Gemeinde des Landes Brandenburg die Erfüllung seines Lebensziels, »als geachteter Mensch friedfertig unter allen anderen zu leben«, sagte der 78jährige. Seit Jahren engagiert er sich für den Erhalt jüdischer Kultur.
Die Neugründung der jüdischen Gemeinde wird möglich, weil nahezu 500 sowjetische Juden in Brandenburg um Asyl baten. Einige wenige deutsche Juden um Theo Goldstein, die sich der Berliner jüdischen Gemeinde angeschlossen hatten, wollen bei der Integration helfen.
Er hat bei seinen Bemühungen die Landesregierung an seiner Seite. Der Potsdamer Magistrat stellte Räume für das Gründungskomitee zur Verfügung. Die Suche nach einem Gebäude im Zentrum, das mindestens einen Betraum, einen Versammlungsraum und Platz für die Verwaltung bieten muß, geht weiter.
»Noch sind Potsdams Juden arm. Dabei besaßen sie einst eine schöne Synagoge, die die Nazis in der ‘Reichskristallnacht‚ 1938 zertrümmerten. Sie in Brand zu stecken wagten sie wegen des benachbarten Hauptpostamtes nicht«, erzählt Goldstein. Im April 1945 trafen britische Fliegerbomben die Synagoge. Nach Abriß der Ruine auf Weisung des Rates der Stadt wurde das Grundstück 1957 enteignet und mit Wohnhäusern bebaut. Zu den jüdischen Liegenschaften in Potsdam gehörte auch ein Mädchenheim in der Berliner Straße 90. Ganz abgesehen von einer Fülle von Privatgrundstücken. Die Enteignung durch die Faschisten und die »Arisierung« der Grundstücke wurde so konsequent durchgeführt, daß die Namen der Eigentümer in den Grundbüchern geschwärzt wurden. Bis heute sei es nicht gelungen, die ursprüngliche Eintragung wieder lesbar zu machen. »Vielleicht gibt es ältere Potsdamer, die uns dabei mit Fotos oder Schriftstücken behilflich sein können«, hofft Goldstein.
Die Gemeinde braucht ihr Eigentum, um beispielsweise Mieteinnahmen zu erzielen und so ihren jüdischen Mitbürgern bei der Integration helfen zu können. Die Mittel werden aber auch benötigt, um den seit 1743 bestehenden jüdischen Friedhof am Fuße des Pfingstberges und die dortige Trauerhalle wieder in Ordnung zu bringen. Weiterhin sollen die politische Bildung der Jugend unterstützt und an den Volkshochschulen Vorlesungen über jüdische Kultur und Religion als Beitrag gegen wachsenden Rechtsradikalismus angeboten werden. Bisher wurden vom Zentralrat der Juden in Deutschland Ansprüche auf 200 Grundstücke im Land Brandenburg angemeldet.
Goldstein, der am eigenen Leibe als Verfolgter der Nazis die Kraft der Gemeinsamkeit erfahren hat, formulierte das Anliegen der neuen Gemeinde so: »Erst in der Gemeinschaft sind wir stark. Als einzelne wird man uns immer wieder in die Ecke stellen.« Die Faschisten haben 460 Juden aus Potsdam vertrieben oder ermordet. Die Verbrechen der Nazis an den Juden seien vor allem den jüngeren Generationen fast unbekannt. »Deshalb gibt es noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Was ich dazu beitragen kann, werde ich tun, solange ich lebe«, so Goldstein. Rolf Ellrich
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