: Ost-Lehrer sprechen von Säuberung
■ Wut und Resignation über die Auswertung der Personalfragebögen bei Ost-Lehrern/ Lehrer müssen nicht unbedingt mit der Stasi zusammengearbeitet haben, um aus dem Schuldienst entfernt zu werden
Berlin. Die Unruhe an den Schulen im Ostteil der Stadt wächst. Nachdem in vielen Lehrerzimmern bekanntgeworden ist, wie die Auswertung der Personalfragebögen erfolgen soll, befürchten nun viele LehrerInnen, daß sie als »für den Schuldienst nicht geeignet« entlassen werden.
Wie alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst hatten auch LehrerInnen Fragebögen über ihre früheren Tätigkeiten, Funktionen in Parteien und Massenorganisationen, über eine hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeit bei der Stasi, ausfüllen müssen. Wie mit diesen Angaben, die Voraussetzung für eine Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst sind, verfahren werden soll, stößt bei den Betroffenen auf Unverständnis. Es ist sogar die Rede von einer »Säuberung der Schulen«. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) spricht von einer »Vorverurteilung der Betroffenen«.
In einem Protokoll über ein Gespräch der Senatsschulverwaltung mit den Bildungsstadträten Ost-Berlins werden zehn Kriterien aufgelistet, nach denen eine »außerordentlichen«, das heißt fristlose oder »ordentliche« Kündigung erfolgen soll. Unumstritten (auch von der GEW) sind die außerordentlichen Kündigungen für Stasi-Mitarbeiter.
Problematisch erscheinen die Regelungen für ehemalige Funktionsträger, Stellvertreter und Leitungsmitglieder. Danach sind Schulparteiorganisationssekretäre — gemeint sind die der SED — »regelmäßig für eine Weiterbeschäftigung nicht geeignet«, heißt es in dem Protokoll. Dies gilt allerdings nur für Funktionäre nach 1985. Offen bleibt, was mit denen vor dieser Zeit geschehen soll. Für die Entlassungsbriefe wurde schon vorsorglich von der Senatsverwaltung allgemeingültig vorformuliert: »Sie/Er konnte die Zweifel beim Dienstherrn nicht ausräumen, künftig für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten.«
Dennoch sieht dieses Papier eine Einzelfallprüfung vor. In dieser »obliegt es dem Arbeitnehmer, Tatsachen vorzutragen, die die Zweifel ausräumen«. Nicht ersichtlich aus dem Papier ist allerdings, ob danach auch eine andere Entscheidung möglich wird. Gleiches gilt für Mitglieder der Schulparteiorganisationen mit der Einschränkung, falls sie nachweislich repressiv gearbeit haben, für hauptamtliche Parteifunktionäre aller Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR wie FDJ und FDGB sowie für Absolventen von Parteischulen. Bei nicht beantworteten Fragen wird ebenfalls gekündigt. Schätzungen besagen, daß ein Viertel aller LehrerInnen auf die Straße fliegen könnten.
Die GEW befürchtet bei diesem Vorgehen einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Die Forderung an den einzelnen Lehrer, seine »Unschuld« oder seine neuen staatsdienerischen Fähigkeiten nachzuweisen, kehre die Beweispflicht um. Außerdem widerspräche dieses Verfahren einem Rundschreiben der Senatsinnenverwaltung, in dem es heißt: Wenn »für Außenstehende erkennbar und glaubwürdig eine Hinwendung zu demokratischen Haltungen stattgefunden hat [...], so kann die persönliche Eignung für weitere Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung nicht von vornherein verneint werden, selbst wenn es sich um einen Repräsentanten des früheren SED-Systems handelt.« anbau
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