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Vorbühnenhamlet, teilbebildert

■ Jaroslav Chundela und Elvira Bach inszenieren in Kassel Shakespeare

Wenn der Vorhang aufgeht, stehen sie alle in einer Reihe an der Rampe — in der Mitte die lüsterne Königin Gertrud, die den Gatten gemeuchelt hat und mit dem Schwager buhlt, etwas abseits Hamlet — und blicken, betreten, ratlos, traurig, ins Publikum. Leider ist dieses suggestive Bild schon das schönste des ganzen Abends gewesen. Auf den guten ersten Einfall des Regisseurs Jaroslav Chundela folgt ein weniger guter: Er läßt das Ensemble in der ersten Reihe des Kasseler Schauspielhauses Platz nehmen. Das hat vielleicht Methode, aber entschieden die falsche. Zu Zuschauern ihrer eigenen Tragödie degradiert, werden die Akteure später stets in Zusammenhänge eintreten, die sie nicht zu kennen behaupten, obwohl sie sie doch gerade miterleben durften. Seltsam.

Wenn wir nun den mächtigen Eisernen Vorhang in Augenschein nehmen, vor dem sich die meisten Teile des Dramas abspielen, ahnen wir, daß sich dahinter der Hauptanlaß dieses Abends bedeutsam versteckt hält: die Prospektmalereien von Elvira Bach. Schrill, bunt, wild, symbolträchtig und doch ziemlich geheimnislos. Schön und gut. Daß aber der Eiserne sich jeweils nur öffnet, um ein weiteres Gemälde feierlich zu enthüllen, für nur wenige Szenen, die dann auf der Bühne spielen; daß also die komplette Bühne bis auf wenige Ausnahmen um der Wirkung dieser Bilder willen verschenkt wird — das ist, was Elvira Bach betrifft, zuviel der Ehre und, was das Schauspiel angeht, ein absurder Einfall.

In einem erkennbaren Zusammenhang zur Inszenierung stehen Bachs Malereien schon deshalb nicht, weil eine solche kaum auszumachen ist. Auf der Vorbühne ist wenig Platz, zugegeben, aber der Aufführung fehlt es nicht allein an räumlicher, sondern eben auch an gedanklicher Tiefe. Wer heute den Hamlet aufführt, sollte sich schon etwas mehr vornehmen, als das allzu bekannte Stück in flachen Bildern nachzuerzählen.

Karsten Gaul spielt einen sympathischen Prinzen, schüchtern und kess zugleich, aber was ihn im Innersten bewegt, was ihn umtreibt, was ihn irre macht, bleibt rätselhaft. Noch weniger teilt Chundela über das Königspaar mit, über die matronenhafte Gertrud und den auffallend jung besetzten Claudius. Rosenkranz und Güldenstern zeichnen sich vor allem dadurch aus, daß der eine lang ist und der andere kurz. Sven- Christian Habich, der naturgemäß den Polonius spielt, ist gewiß ein furchtbar komischer Schauspieler, aber man ist nach all den rampenfrohen Scherzen doch ein bißchen froh, wenn seine Rolle beendet ist.

Und Ophelia? War Eva-Maria Keller im ersten Teil ein unscheinbares braves Kind, das deutlich heftiger in seinen Bruder Laertes als in Hamlet verliebt ist, hat sie nach der Pause einen Auftritt, der spektakulär und spekulativ als „Provokation“ und als Höhepunkt angelegt ist. Ophelia entblößt nicht nur ihren zerrütteten Geist, sondern mit diesem auch ihren schmächtigen Leib. Diese Wahnsinns-Szene ist nicht entwickelt, sie ist virtuos und hohl und erschreckt deshalb nicht. Leeres, schales Theater, auch wenn die Schauspielerin viel gibt. Hier regiert der Effekt, und die DarstellerInnen in ihren schwarz-grauen Kostümen (Ingrid Bach) haben das Nachsehen.

Eine halbe Ahnung vom Geist Shakespeares, von seinem unvergleichlichen erdigen Humor vermittelt die Totengräberszene (eine der wenigen, die auf offener Bühne spielen). Wolfram Mucha und Vincent Leittersdorf entwickeln hier einmal ganz beiläufig — und eben unspektakulär — eine Vorstellung davon, wie Shakespeare zu spielen sei: mehr Flöte als Pauke, mehr Florett als Schwert. Mit einer unsentimentalen, lebensklugen Liebe zu den Figuren. Und notfalls auch ohne die Malereien der Frau Bach. Martin Krumbholz

Shakespeare, Hamlet. Regie: Jaroslav Chundela, Bühne: Elvira Bach, Kostüme: Ingrid Bach. Mit Heinz Keller, Sabine Wackernagel, Karsten Gaul, Sven-Christian Habich, Eva-Maria Keller. Staatstheater Kassel. Nächste Aufführungen: 19.3., 22.3. und 30.3.

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