piwik no script img

Erdenklopse in Geisttunke

■ Zwiespältiges Spektakel um den Handschlag zwischen Unten und Oben: Richard Straußens „Frau ohne Schatten“ am Goetheplatz

Ein äußerst problematischer Monumentalschinken hatte am Sonntag im Theater am Goetheplatz Premiere. Ein Schinken, gespickt mit richtigen Fragen und falschen Antworten. Wie der Kopf zum Bauche paßt, wie „Oben“ und „Unten“ sinnvoll sich zusammenfügen, welch eine Ordnung sich herstellen soll unter den Menschen — das sind so die Fragen, die Musiker im 19. und 20. Jahrhundert sich stellen, und Opernkomponisten schon gar. Richard Wagner, der Unvergleichliche, hat schon zu Beginn seines Ring des Nibelungen den intellektuellen Feuergott Loge erklären lassen, man könne wohl auf Lösung sinnen, doch daß man fände, was nie sich fügt, das schließe er aus.

Hugo von Hofmannsthal, des untergehenden Kakanien intelligenter Hofdichter (und Textautor der Frau ohne Schatten) war damit offenbar nicht zufrieden. Oben und Unten, das war für ihn ein Problem, das er noch kurz vor der „Götterdämmerung“ der Zentral- und osteuropäischen Monarchien für lösbar hielt. Oben und Unten, das waren für ihn nicht nur Herrscher und Beherrschte, Couponschneider und Proleten, sondern auch Künstler und Banausen, Individuum und Masse. Die Oberen stehen zwar im Lichte, aber einsam sind sie; produktiv zwar, aber impotent. Unten ist es dunkel, kraftvoll und roh. Was folgt draus?

Die Story des märchenhaften Mysterienspiels: Keikobad, den Geisterfürsten, ärgert das süße Nichtstun, mit dem seine Tochter und ihr Gemahl, der Kaiser, ihre Zeit verplempern. Versteinern soll der Kaiser, es sei denn, die Kaiserin würde zur Menschin, die Schatten wirft und Kinder kriegt. Also begibt die Kaiserin sich nach unten und kauft der Färbersgattin, deren Sinn eher nach Vergnügungen als nach Kindern steht, ihren Schatten ab. Der Färber will keine körperlose Frau und versucht sie zu morden. Die Kaiserin aber entdeckt die Welt menschlicher Gefühle und verzichtet auf die Erfüllung des Kaufvertrages. Und wird gerade so zum menschlichen Wesen.

Ein eigenartiges Libretto ist da entstanden, das trotz aller symbolischen Verschlüsselungen und Ungereimtheiten echte Fragen stellt. Richard Strauß bebildert diese Geschichte mit großer handwerklicher Meisterschaft, doch ihm liegen nicht die aufgeworfenen Fragen am Herzen, er

Dero Allerhöchste Geister, in Einsamkeit erblichen, während drunten das rotbäckige Volk im Dunkeln haust. Als Kaiserin Penelope Thorn, als Kaiser Brian HiltFoto: Jörg Landsberg

stürzt sich auf die falschen Artworten. So wird aus einem problematischen Ideendrama eine Große Oper. Der Menschen Menschliches wird mit süßlichen Nazarenerklängen aus Salome überzuckert, dramatische Zuspitzungen werden mit Anleihen aus

hierhin bitte

das Foto mit

Mann und Frau,

prachtvoll gewandet

der Welt der Elektra versehen, und das Finale will mit hymnischem Schönklang Mahlers Faustsatz aus der 8. Sinfonie übertrumpfen.

Hausherr Tobias Richter und sein Ausstatter Hubert Monloup haben sich entschieden, Richard

Strauß' Verböserung des Librettos zu inszenieren. Hofmannsthals Spuren fanden sich paradoxerweise eher in GMD Viottis Dirigat. Sein Strauß klang schön, doch eher schlank, und, soweit das überhaupt geht, entzuckert. Das Staatsorchester, das sich im Verlauf des Abends steigerte, musizierte in den lyrischen Passagen eher verhalten. Dafür erhielt das oftmals dunkel-wuchtige Strauß'sche Gepolter klare, aggressive Konturen.

Der Inszenierung fehlte das. Richter hatte der in den gelungenen Partien verspielten, durchaus ironischen Opulenz des Bühnenbildes wenig entgegenzusetzen. Seine Personenführung setzte auf Routine. Das Kaiserpaar blieb statisch, operierte zuweilen mit abgestandener großer Staatsoperngestik — am Rande des Albernen, ohne daß unterscheidbar war, ob bewußte Karikatur oder bloße Hilflosigkeit dahintersteckte.

Die auch musikalisch bezwingende Wandlung der Kaiserin zum Erdenkloß nahm die Regie nicht wahr. Die Welt der Plebejer erhielt groteske, bizarre Züge (eindrucksvoll und beklemmend das Krüppeltrio ), das Färberpaar blieb eigentümlich blaß — mit erstarrter Standardgestik — im naturalistischen Ambiente. Überhaupt: Ausstattung, Bühnentecknik, delikate Beleuchtung dominierten, Äußerlichkeiten verdrängten die Inhalte, und in der opernhaften Simplifizierung blühte der Kitsch. Symptomatisch das grausige Schlußbild mit den wiedervereinten Paaren vor den Bilde unseres herrlichen blauen Planeten. Die Golfregion war deutlich sichtbar, aber ohne Rußwolken.

Verpassen sollte man dies zwiespältige Spektakel auf keinen Fall, immerhin wird zupackend musiziert und auf hohem Niveau gesungen. Auch dem Auge ist einiges geboten. Mit der inhaltlichen Auseinandersetzung allerdings muß man sich schon alleine plagen. Mario Nitsche

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen