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Kabinett unbeeindruckt

■ Regierungssprecher Vogel: „Scharfmacher“ schieben Kohl die Schuld für die Lage im Osten in die Schuhe

Bonn (dpa/taz) — Die Leipziger Montagsdemos sind gestern auf der Bonner Kabinettssitzung „mit keinem Wort“ erwähnt worden, verriet Regierungssprecher Dieter Vogel vor Journalisten. Auch wenn es den Demonstranten nicht bewußt sei, richteten sich ihre Proteste nicht gegen die Bundesregierung, sondern gegen die Auswirkungen der SED-Mißwirtschaft. Bei allem Verständnis für die verunsicherten Bürger in den neuen Ländern sei es doch unverständlich, daß einige „Scharfmacher“ auf den Demonstrationen aufträten und dem Bundeskanzler und seiner Politik die Schuld für die Lage in die Schuhe schöben.

SPD-Parteichef Hans-Jochen Vogel wiederum zeigt Verständnis für die Massen. Ihre Forderungen seien „realistisch“. Die SPD müsse jetzt klar machen, daß sie es nicht allein mit Kritik an Bonn bewenden lasse, sondern mit ihrem „nationalen Aufbauplan“ bereits konstruktive Vorschläge gemacht habe. Bischöfe und Kirchenpräsidenten in Ostdeutschland sind davon überzeugt, daß sich die Demonstrationen weiter ausdehnen werden. „Ich kann mit durchaus vorstellen, daß demnächst wieder mehr als eine Million Menschen in Berlin, Leipzig und anderen Städten auf die Straße gehen“, sagte der Bischof von Berlin-Brandenburg, Gottfried Forck, der 'Neuen Presse — Express‘ (Halle). Die Menschen in Ostdeutschland fühlten sich „von der Regierung Kohl hintergangen“. Der Kirchenpräsident der Landeskirche Anhalts, Eberhard Natho, forderte eine „große Gemeinschaftsaktion“ von Gewerkschaften, Unternehmen, Kommunen, Kirchen und Sozialverbänden, „um den Menschen hier Zukunftschancen zu bieten“.

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