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Leverkusens Mitleid mit der Berliner Hertha

■ Bayer Leverkusen-Hertha BSC 3:1 (1:0)/ Da war es auch bald mit dem Redefluß des neuen Trainers vorbei/ 23 Hertha-Frösche hielten die Treue zum Abstiegskandidaten aus Berlin/ Neururer: Ich bin kein Mathematiker

Leverkusen. Hertha schafft sie alle! Auch um den sonst wunderbar perlenden Redefluß von Trainer Peter Neururer ist es schon nach zwei Einsätzen an der Seitenlinie geschehen. »Ich brauche keine Alibis, ich brauche keine Ausflüchte für schlechte Leistungen. Deshalb will ich das Pferd auch von hinten aufzäumen und sage: Der Sieg von Bayer war unverdient. Er hätte viel höher ausfallen müssen.« Die Rede des Mannes ist wirr, der Wortwitz verzweifelt, sein Blick war fiebrig, aber er hatte das Elend schließlich auch auf Ballhöhe gesehen.

Man würde die wunderbar austarierte Ordnung eines Hühnerhaufens beleidigen, wollte man sie in den Zusammenhang mit dem Abwehr- und Mittelfeldspiel von Hertha BSC setzen. Einsam versuchte Uwe Rahn zumindest noch die eine oder andere Halbidee ins Spiel einfließen zu lassen, blieb aber unverstanden zurück. Eine halbe Stunde lang bewährte sich auch Rene Unglaube als emphatischer Kämpfer gegen die Abwehr von Bayer, dann bekam er mit Martin Kree einen Manndecker zur Seite und ward nicht mehr gesehen.

Der Rest der Mannschaft löste bei den wenigen Zuschauern nur Mitleid aus. Vielleicht war das auch der Grund dafür, warum Bayer Leverkusen nur ein fünftel ihrer besten Torchancen ausnutzte. Erst brachten sie die Hertha-Abwehr in wildeste Verlegenheiten, um dann höflich in die Wolken zu schießen, vorbeizuballern oder eifrige Berliner Verteidigerbeine anzuschießen. Die drei Tore von Kree, Lesniak und Kirsten waren wirklich nur die Untergrenze der Chancenverwertung.

Aber es gibt über Hertha auch Positives zu berichten. Da war zunächst der Versuch von Mike Lünsmann, Schiedsrichter Karl-Heinz Tritschler einen Beinschuß zu verpassen, der aber leider scheiterte. Beim Unternehmen, ihn zu umdribbeln, verlor er dann leider den Ball an einen Spieler von Bayer.

Auch die ungefähr 23 mitgereisten Hertha- Frösche zeigten sich von ihrer gutgelaunten Seite. Immer wieder durchbrach ihr dröhnendes »Ha-ho-he Hertha BSC« die Trägheit im Ulrich- Haberland-Stadion.

Jede nur ansatzweise als gelungen zu bezeichnende Situation wurde stürmisch beklatscht und beim Anschlußtreffer von Uwe Rahn zwölf Minuten vor Schluß schwangen sie sich sogar zu einem euphorischen »Jetzt geht's los!« auf. Die Spieler waren darüber so erschrocken, daß sie sogar fast noch eine weitere Torchance herausgespielt hätten.

Solch beeindruckende Treue, Leidens- und Ironiefähigkeit schien auch bei Peter Neururer Eindruck hinterlassen zu haben. Mit immer noch stierem Blick verkündete er schließlich und immerhin: »Ich bin kein Mathematiker! Aber solange ich noch rechnen kann, rede ich nicht vom Abstieg.« Was immer er damit sagen wollte. Christoph Biermann

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