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Wurst mit fünf Zipfeln

Eishockey-Meisterschaft endlich entschieden: DEG siegt in Köln mit 4:0 und verteidigt den Titel  ■ Aus Köln Bernd Müllender

Chris Valentine, puckhungriger Torjäger der Düsseldorfer EG, saß hernach mit gesenktem Haupt und bedröppelten Gesicht in der Kabine. Draußen auf dem Eis tobten die Fans des Kölner EC und skandierten gut zehn Minuten ohne Pause ihren Choral von den „Super-Haien“. Das letzte entscheidende Finale um die deutsche Eishockey-Meisterschaft, der verspätete Karnevalshit zwischen Kölsch und Alt, war geschlagen. Endlich gab es einen Sieger.

Aber nicht etwa Köln hatte gewonnen, sondern der verhaßte rheinische Kontrahent, und das mit 4:0 recht deutlich. Chris Valentine saß so teilnahmslos herum, weil er seinen gefürchteten Schlagschußarm wegen einer Schulter-Eckgelenk- Malaise in einer Schlaufe trug und deshalb im alles entscheidenden Match nicht hatte mittun können. Seine Mitspieler badeten derweil im Sekt, jauchzten ausgelassen für die Fotografen und tranken zur besonderen Schmach des Gegners einen Kasten Kölsch nach dem anderen.

Draußen, wo das Eis jetzt den Stehplätzlern gehörte, feierten Sieger und Verlierer, als die Nervenanspannung der Mammutsaison endlich vorbei war, einträchtig gemeinsam weiter. So ist eben nur Eishockey — kein Randale, keine Rangeleien, ein Sport, dem Hooligans wesensfremd sind. Rot-Weiß jubelte mit Rot-Gelb. Puck schlägt sich nicht, Puck verträgt sich.

Es wurde aber auch Zeit, schon meteorologisch gesehen: In Düsseldorf am Sonntag war das Eis stellenweise schon getaut und Dienstagabend in Köln stocherten die Cracks zeitweise durch Tiefnebelschwaden. Fünf Matches hatten beide im Halbfinale gebraucht, und fünf Spiele dauerte auch das Endspiel, bis endlich ein Meister übrig geblieben war. „Volksverarschung“ hatte ein gelb- roter geschminkter DEG-Fan nach dem vierten Spiel am Sonntag in Düsseldorf geschimpft und damit die Stimmung vieler getroffen. Schier unfaßbar war es gewesen für die Altbierseligen, daß sie zum geplanten Triumph in die heillos überfüllte Kultstätte an der Brehmstraße gepilgert waren, um das Meisterstück mitzuerleben, sich wieder einmal kollektiv heiser gebrüllt hatten und dann diese Schmach miterleben mußten: Nicht ein einziges Törchen schafften die eigenen Lieblinge beim Fußballresultat von 0:1, und das ausgerechnet gegen die Haie, die sie stets als Thunfische und Sprotten verhöhnen und vorher schon symbolisch als Plastik-Hai an der Angelrute aufgeknüpft durchs Stadion getragen hatten. Kaum hatte die DEG ihren Gegner mal nicht, wie so oft zuvor, im ersten Drittel überrannt, schon war es trotz orkanartiger Gesänge von den Rängen (Stadionsprecher als Aufpeitscher: „Wollt ihr etwa Dienstag nochmal nach Köln?“) danebengegangen.

Diszipliniert danebengeschnappt

Also mußten sie nochmal nach Köln, und alle hatten geglaubt, jetzt würden ganz bestimmt die Haie wegen Heimvorteil und psychischem Vorteil — ein 0:2 war aufgeholt — nach dem Titel schnappen. Aber was heißt da schon Heimvorteil? Andere Gesetze beherrschten diese Play-Offs. Seit den Halbfinals, also nunmehr schon im 15. Spiel, galt für beide Teams, wer das erste Tor schießt, der gewinnt auch das Match. Und das wollte lange keiner dem anderen zugestehen. Disziplinierte Defensive war Trumpf, und gab es mal Chancen, dann flogen die gepanzerten Linien-Pfiffikusse todesmutig dazwischen. Über vier aufeinanderfolgende Drittel waren schon torlos vergangen, da endlich — nach 38:19 — zappelte das schwarze Ding im Netz. DEG-Verteidiger Mike Schmitt hatte eingelöffelt, als keiner mehr daran glauben mochte, daß überhaupt nochmal ein Tor fällt.

Jetzt hieß es für Köln „Alles oder Nichts“ und es wurde endlich der erwartet mitreißende Eishockey- Kampf. Jetzt wurde wild und verzweifelt gecheckt, daß es ein einzig Krachen ward an den Banden. Chancen über Chancen für die Haie, aber vor dem Ausgleich war ein Mann: Torwart Helmut de Raaf. Abertausend Hände setzte er ein, munter sprang er wie ein Fußballkeeper auch weit vor seinem Tor herum und schien das kleine Gehäuse auf die Größe einer Streichholzschachtel kleingehext zu haben. Nervös geworden steckten sich immer mehr Fans brennende Stäbchen in den Mund, daß der Stadionsprecher mit eindringlichen Worten das Rauchverbot anmahnen mußte: „Hier riechts ja schlimmer wie in Kuweit.“

Dann der vorentscheidende Konter nach 54 Minuten. Didi Hegen, Rekordtorschütze in den Playoffs 91, legte alle verbliebene Restkraft nach 53 Spielen in einen einzigen Schuß. Und der saß. Das erlösendste Tor seiner Karriere sei es nicht gewesen, befand er nachher in der Kabine. „Aber eines der allertollsten von so vielen“, meinte er und daß er bis zur Hallendecke hätte er springen mögen vor Freude und Erleichterung.

Peter-John Lee traf doch noch zweimal hinterher gegen die demoralisierten Gegner, zappelte und hampelte herum und rutschte ärschlings übers Parkett wie ein kleiner Junge. Sein Trainer Hans Zach hatte derweil auch die Arme ausgebreitet, aber nur um die Jackenärmel hochzukrempeln und er brüllte nicht vor Freude herum, sondern um nochmal taktische Anweisungen auszugeben. Bei 3:0 und 4:0, und das vier Minuten vor Schluß. Aber der gebürtige Bayer ist halt ein Besessener, ein Perfektionist, ein scheinbar teilnahmslos herumstehender Schweiger, der aber immer wieder zwischendurch explodiert und seine Spieler anraunzt, was ihm in der Hockeywelt den Ehrentitel „Alpenvulkan“ einbrachte. Erst sechs Sekunden vor Schluß glaubte auch Zach in seiner ersten Saison als Bundesligatrainer an den Triumpf, hüpfte aus seinem mentalen Korsett heraus und über die Bande aufs Glatteis, um alles zu umärmeln, was ihm in den Weg kam.

Die knappe Tausendschaft aus Düsseldorf feierte längst den Gegner; „Vizemeister KEC“ bekamen die ironisch zu hören und auch den Stakkato-Hit „Kölner, Ihr seid zu doof“. Als die DEG-Freunde das Stadion geleert hatten, blieb auch den Einheimischen der Trost, wieder unter sich zu sein. Vom Tribünenblock war einsam ein Transparent hängen geblieben: „Auch Düsseldorfer sind Menschen, das mußt du doch verstehn; man freut sich, wenn sie kommen, und ist glücklich, wenn sie gehn.“ Mitgehnlassen hatten sie nur, welch Schönheitsfehler, die silberne Meisterschale.

Für Zach, den primärberuflichen Metzgermeister, war es, wie ARD- Reporter Herbert Watterott nimmermüde bilderliebend herumphilosophierte, Spiel für Spiel „um die Wurst gegangen“. Jetzt war der fünfte Finalzipfel verschlungen. Und alles hat ein Ende.

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