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Razzien und Überfälle zum Neujahrsfest Newroz

■ Flugblätter rufen zum Generalstreik in Diyarbakir auf/ Kämpfe in kurdischen Provinzen zwischen Guerilla und türkischem Heer

Diyarbakir (taz) — Über das Feuer springen, die Blässe des Winters in die Flammen werfen und sich von ihnen die Röte des Lebens ins Gesicht brennen lassen: Auch die Bewohner in der kurdischen Stadt Diyarbakir werden heute am 21. März in traditionellen Kleidern ihr Neujahrsfest feiern, in allen Straßen und Stadtvierteln Newrozfeuer anzünden — und vermutlich mit einem Generalstreik auf die Razzien und Hausdurchsuchungen der letzten Tage und Wochen reagieren. Mit Flugblättern und Flüsterpropaganda ist mittlerweile in ganz Kurdistan dazu aufgerufen worden, Newroz zu feiern, die Läden zu schließen und die Schulen zu boykottieren. Nach der türkischen Verfassung ist es nicht nur verboten zu behaupten, daß in der Türkei Minderheiten existieren, sondern unter anderem ist auch das Feiern kurdischer Feste nicht erlaubt. Als „separatistische Banditen, die in unserem Land Newroz — den Tag des türkischen Frühlingsfestes — als ihr Fest beanspruchen“ werden denn auch die Kurden in offiziell an den Schulen verlesenen türkischen Flugblättern diskreditiert. Diese berufen sich auf eine Kultur und Tradition, nach der „die osmanischen Sultane und alle turkmenischen Steppenvölker schon immer Newroz gefeiert“ haben.

In der gesamten Region Türkisch- Kurdistans wechselten sich in der Woche vor dem Neujahrsfest Razzien, Überfälle, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen der türkischen Polizei und der Rambo-Sondereinheiten mit Protestaktionen der kurdischen Bevölkerung ab.

In Siirt, wo sich seit über einer Woche etwa 50 Menschen gegen Hunderte „willkürliche Verhaftungen“ im Büro der „Volkspartei der Arbeit“ im Hungerstreik befinden, wurden mehrere Personen bei Räumungsversuchen der Polizei schwerverletzt. Auch SchülerInnen, die die Hungerstreikenden besuchen wollten, wurden festgenommen. Anschließende Protestdemonstrationen wurden auseinandergeknüppelt, dabei wurde in die Luft geschossen. Im Gegenzug überfielen die wütenden Leute das Rathaus und verprügelten einige Angestellte.

Die Stadt ist hermetisch abgeschlossen. Der Hungerstreik soll weitergeführt werden, die Leute sind jedoch den sogenannten „Rambos“ und der Polizei, die die Straßen besetzt halten, völlig ausgeliefert.

Auch in anderen Städten und Dörfern gab es jetzt — zum Jahrestag der Giftgasmorde in Halabja und vor dem Newrozfest — Razzien und Festnahmewellen. In Cizre sah man Mannschaftswagen in die Seitengassen einfahren, in Mardin sieht es genauso aus. In vielen Dörfern kommt es zu Demonstrationen und Festnahmen.

In einer ganzen Reihe kurdischer Provinzen hat die Frühjahrsoffensive auf verschiedenen Ebenen begonnen. Seit mehreren Tagen halten zwischen Silopi und Sirnak die Gefechte zwischen Guerilla und türkischem Heer an. Auch bei Mardin hat es Gefechte gegeben.

Der Pressedienst der türkischen Botschaft in Bonn schmückt sich derweil mit der Aussage des kurdischen Führers Celal Talabani, der zur Situation im Irak erklärt hatte: „Wir sind auf der Seite der Türkei. Wir haben auf ihrer Seite gekämpft.“ In der Grenzregion wurde inzwischen bestätigt, daß zwei kurdische Perschmerga-Kommandanten über die irakisch-türkische Grenze gekommen und sich mit den türkischen Militärs getroffen haben. Wahrscheinlich ist den Peschmerga humanitäre Hilfe zugesagt worden.

In der türkischen Presse ist das Tabu um Kurden und Kurdistan jetzt aufgehoben. Doch kritisiert wird, daß es Talabani im Gespräch mit Özal nicht für nötig gehalten hat, die kurdische Guerillaorganisation PKK zu verurteilen. Eine solche Verurteilung verlangen alle, die Özal wegen des Treffens mit Talabani kritisieren.

Ein Teil der türkischen Truppen wird mittlerweile aus den kurdischen Städten abgezogen. Denen die dableiben, ist gesagt worden, sie müßten wegen „Newroz und der PKK“ noch bleiben. Lissy Schmidt/bel

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