: Verhärtete Fronten in Jugoslawien
Parlamente der Republiken suchen fieberhaft nach Auswegen, um die Bundesarmee zu stoppen ■ Aus Belgrad R. Hofwiler
Nachdem ein Eingreifen der Armee in Jugoslawien zunächst unwahrscheinlich geworden ist, geht die Suche nach politischen Lösungen ebenso fieberhaft wie erfolglos weiter. Kaum eine der sechs Republiken, in der nicht gestern eine Mammutsitzung der Parlamente stattgefunden hätte. Am lebhaftesten ging es in der serbischen Volkskammer zu. Opposition und alleinregierende Sozialisten lieferten sich stundenlange Wortgefechte. Ergebnis: Verhärtung der Standpunkte, Vertagung der Probleme.
Vuk Draskovic von der „Serbischen Erneuerungsbewegung“ beharrte darauf, daß in ganz Jugoslawien sobald als möglich Neuwahlen durchgeführt werden müssen. In Serbien seien die „Neobolschewisten“ an der Macht, in Kroatien und Slowenien „Neofaschisten“.
Im Kroatien war gestern ebenfalls keinerlei Berücksichtigung der serbischen Positionen spürbar. Keinesfalls werde man der Forderung der Bundesarmee, ihr die paramilitärischen Spezialtruppen Kroatiens zu unterstellen, nachkommen. Denn die Gefahr durch Aktionen „serbischer Terroristen“ sei noch nicht gebannt. Aber gerade die Erfüllung dieser Forderung macht die Armee zur Voraussetzung, innenpolitisch nicht einzugreifen. Am Dienstag ließ sie verlauten, sie dulde „keine anderen Armeen“ neben sich.
Heute nachmittag sollen in Zagreb neue Verhandlungen für den künftigen „Allunionsvertrag“ stattfinden. In den ersten sieben Anläufen kam nichts heraus als eine Lähmung der Bundesorgane. Kompromisse sind nicht in Sicht, obwohl diese Verhandlungsrunde vielleicht die letzte Chance darstellt, die Machtübernahme der Armee noch zu verhindern.
Angeheizt ist die Stimmung vor allem in Kroatien und Serbien. Vor dem Militärgericht in Zagreb halten Hunderte von Demonstranten Mahnwachen für kroatische Politiker ab, die sich wegen angeblicher Putschpläne gegen die jugoslawische Volksarmee zu verantworten haben. Martin Spigelj, von der Armee wegen Hochverrats gesuchter Verteidigungsminister Kroatiens, hält sich weiterhin versteckt.
In Belgrad schwillt unterdessen der Konflikt zwischen Milosevic und Draskovic gefährlich an. Draskovic konnte es nicht unterlassen, bei der Belgrader Staatsanwaltschaft ein Verbot der Sozialistischen Partei Milosevics zu fordern. Dieser wiederum hat kein Wort der Entschuldigung verloren, daß er seinen Widersacher trotz Abgeordnetenimmunität zehn Tage lang einsperren ließ. Milosevic ließ sich bei einem Studentenmeeting auf dem Campus der Belgrader Universität als Staatsmann und Gelehrter feiern. Anwesend waren Anhänger seiner Sozialistischen Partei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen