255 Abgeordnete finden es am Rhein sooo schön

■ Fast jeder zweite Bundestagsabgeordnete hat unterschrieben: Regierungssitz Bonn soll bleiben/ Weiter Bauarbeiten am Rhein

Bonn/Berlin. Ein Umzug von Regierung und Parlament nach Berlin wird immer fraglicher. Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen, zur Zeit in Bonn, konnte dort gestern gleich zwei schlechte Nachrichten in Empfang nehmen. Zum einen stellte die Bonn-Lobby im Bundestag ihre Unterschriftenliste vor: Schon 255 der insgesamt 662 Bundestagsabgeordneten haben sich mit Namen und Unterschrift für Bonn ausgesprochen. Gleichzeitig gab der Ältestenrat des Bundestages grünes Licht, die Planungen und auch die Bauarbeiten für ein neues Bonner Abgeordneten- und Verwaltungsgebäude fortzusetzen. Offizielle Begründung: Bis zu der für Juni angesetzten endgültigen Entscheidung über den künftigen Parlamentssitz dürften keine Verzögerungen entstehen. Kleines Trostpflaster für Berlin: Das Bonner Parlament will auch seine Arbeitsbedingungen in Berlin verbessern. Der Ältestenrat bat gestern die Bundesregierung, in Berlin das ehemalige Reichspräsidentenpalais und das Gebäude der Kammer der Technik zu kaufen. Ferner sollten Grundstücke zwischen Spree, Otto-Grotewohl-Straße und Pariser Platz erworben werden. Sobald wie möglich möchte der Bundestag auch die Gebäude nutzen, in denen früher die ehemaligen DDR- Ministerien für Volksbildung und für Außenwirtschaft residierten.

Die 255 Unterschriften wollen die Pro-Bonn-Abgeordneten, die aus allen Fraktionen stammen, innerhalb einer Woche gesammelt haben. Täglich gingen neue Unterschriften ein. Trotzdem handele es sich bei den bisher gewonnenen Parlamentariern lediglich um den »harten Kern«, sagte Bonn-Sympathisant Horst Ehmke (SPD). Viele andere Parlamentskollegen hätten klar ihr Votum für Bonn zu erkennen gegeben, sie wollten dies aber aus verschiedenen Gründen nicht durch ihre Unterschrift unter den Gruppenantrag dokumentieren. Als einziges Kabinettsmitglied hat sich bisher Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) in die Rheinland-Front eingereiht.

Die Berlin-Lobby im Bundestag will erst am Montag ihren Beschlußantrag vorstellen. »Prominente« Politiker aus den Fraktionen von CDU/ CSU, SPD und Bündnis 90/ Grüne würden dabei sein, verkündete der Berliner Bundestagsabgeordnete Gerd Wartenberg (SPD) gestern gegenüber der taz. Weil der Berlin-Antrag jetzt erst fertig sei, habe man allerdings noch keine Unterschriften gesammelt. Die »Propagandawirkung« der Bonner Unterschriftenliste sei zwar nicht zu verleugnen. Wartenberg blieb trotzdem optimistisch: »250 Unterschriften kriegt Berlin auch zusammen.«

Bonner und Berliner seien sich einig, daß der Bundestag im Juni entscheiden müsse, bestätigte der SPD- Abgeordnete. Diepgens Vorstoß, die Beschlußfassung zu verschieben, sei damit gescheitert. Ohnehin habe diese — auch von der Berliner SPD kritisierte — Initiative des Berliner Senatschefs die Arbeit der Berliner im Bundestag eher »behindert«, klagte Wartenberg.

Diepgen selbst übte sich gestern nach Kräften in Zweckoptimismus. »Ausdrücklich« begrüßte er die Entscheidung des Ältestenrates, Gebäude und Grundstücke in Berlin zu kaufen. Die Fortsetzung der Bauarbeiten in Bonn erwähnte der Senatschef mit keiner Silbe. Dafür konnte er sogar der Unterschriftenliste noch Positives abgewinnen: »Jetzt wissen wir, mit wem wir das Gespräch noch suchen müssen.«

Dieser Optimismus wurde von Diepgens Koalitionspartner SPD nicht geteilt. »Die Zahlen sehen nicht schön aus«, kommentierte Helmut Fechner, Geschäftsführer der SPD- Fraktion im Abgeordnetenhaus, die Hiobsbotschaften aus der Bundeshauptstadt. Fechner bekräftigte trotzdem die Haltung seiner Partei, daß die Entscheidung in Bonn noch vor der Sommerpause gefällt werden müsse: »Die Zeit ist reif, daß dieser Streit geklärt wird.« Die Lage sei jetzt »komplizierter« und erfordere »Aktivitäten« des Regierenden Bürgermeisters und aller anderen »Kräfte« in Berlin. hmt