: Journalist im Winkel
Unter Journalisten trifft man zuweilen das Pendant zu dem, was man, bezogen auf Anwälte, den „Winkeladvokaten“ nennt. Das sind Zeitungsleute, die sich stets im Schatten der Großen sehen, in der Angst leben, vergessen oder übersehen zu werden und ständig von dem „großen Ding“ träumen, das sie landen könnten. Mit einem Schlag in aller Munde zu sein, ist ihre Sehnsucht.
Als ich noch mit Ströbele gemeinsam das Berliner „Sozialistische Anwaltskollektiv“ betrieb, gab es einen Reporter der 'Bildzeitung‘, der diesem Typ entsprach. Der versuchte wiederholt, uns telefonisch auszuhorchen, unter anderem darüber, ob wir überhaupt unsere Büromiete bezahlten. Da wir ablehnten, mit ihm zu reden, schrieb er einfach, wir würden die Miete schuldig bleiben und den Hauswirt bedrohen, damit er uns nicht verklagte. Das Ergebnis war, daß uns der Axel-Springer-Verlag mehrere tausend Mark Schmerzensgeld zahlen mußte. Der gleiche Journalist wiederholte diese Versuche der Selbstaufwertung noch mehrere Male, bis er von seiner Redaktion gefeuert wurde.
Das Schema ist einfach. Man versucht, mit dem Rückenwind der vorgeformten öffentlichen Meinung solche Meldungen über bestimmte bekannte Persönlichkeiten in die Welt zu setzen, die man ihnen schon immer zutrauen mochte, aber nicht nachweisen konnte, um anschließend darauf hoffen zu dürfen, daß der so Apostrophierte bei seinen Rechtfertigungsversuchen von dem ihn treffenden Gegenwind abgetrieben würde, noch dazu, wenn er Zunder aus den eigenen Reihen erhält.
Henrik Broder scheint sich mit seiner Methode, wie er in den vergangenen Wochen den zurückgetretenen Vorstandssprecher der Grünen, Ströbele, in die Pfanne zu hauen versucht, in die Reihe dieser Form von Publizistik einfügen zu wollen.
Broder hat seine Kampagne anfangs so geschickt eingefädelt, daß ich ursprünglich fast gedacht hatte, er wäre ein Agent des israelischen Geheimdienstes Mossad mit dem Auftrag, die Grünen als die entschiedensten Gegner israelischer Politik in Deutschland mit Hilfe der israelischen und der hiesigen Presse zu destabilisieren, zu spalten und einen der bekanntesten Kritiker der Politik Israels gegenüber den Palästinensern zu „neutralisieren“.
Das wäre auch gar nicht so dumm eingefädelt gewesen: Man greift sich mit Ströbele den Sprecher des Vorstands, der gleichzeitig einen entsprechenden politischen Flügel dieser Partei repräsentiert, und von dem man weiß, daß er das offene Wort liebt, und sagt was er denkt.
Gleichzeitig nutzt man die Gunst der Tatsache, daß in den Augen der deutschen Öffentlichkeit ohnehin alles, was jüdisch in der Welt ist, in einen Topf geworfen wird. Hierzulande wird schließlich jede Kritik an der offiziellen Politik Israels als „Antsemitismus“ und heimliche Nazi-Gefolgschaft diffamiert. Damit kann sie leicht einer sachlichen politischen Diskussion entzogen werden. (Fragt sich nur, wie Israel mit seinen Tausenden jüdischen innerstaatlichen „Antisemiten“ aus der Opposition umgeht.)
Und als Journalist, der diese „Leimruteninterviews“ zutage fördert, eignet sich natürlich am besten eine Person, die, zumindest bislang, ein gewisses Vertrauen in der deutschen Linken genießt — jemand, der als 'konkret‘-Autor bekannt und durch Talk-Show-Publicity in der Öffentlichkeit wohl eingeführt ist. Als „Fachmann in jüdischen Dingen“, einschließlich Israels, ist er weitgehend unangreifbar, weil sich jeder seiner Kritiker gut überlegt, ob er sich dem Vorwurf des Antisemitismus aussetzen will, mit dem Leute wie Broder jeden Angriff auf die Politik Israels abblocken und auf ein falsches Feld umzuleiten versuchen.
Und am Ende kann dann dieser Journalist sich aus einem Text, bestehend aus Teilen eines eineinhalbstündigen Streitgesprächs wie aus einem Steinbruch bedienen, Textpassagen kürzen, verändern bis zur Sinnverkehrung und seinem „Opfer“ jeden Sinn nach Belieben in den Mund legen. Angesichts der Stimmungslage in der Öffentlichkeit und unter Zuhilfenahme der innerparteilichen Gegner hat er bei nachfolgenden Auseinandersetzungen allemal die bessere Presse.
Ein Geheimdienst könnte das nicht besser ausdenken und in die Tat umsetzen.
Allein — so wird es nicht gewesen sein. Dazu hat Broder nicht das Format. Es hieße, ihn zu überschätzen, wenn er solche Interviews wie das mit Ströbele tatsächlich in offiziellem Auftrage gemacht hätte. Der Mossad hat sicherlich bessere Leute. Es spricht vielmehr einiges dafür, daß Broder als Trittbrettfahrer der gegenwärtigen Weltpolitik, stets von der Angst geplagt, in der Öffentlichkeit nicht ausreichend zur Kenntnis genommen zu werden, sein „großes Ding“ witterte, mit dem er entsprechend herauszukommen hoffte. Offenbar war ihm dann auch das Mittel recht, so lange an dem Interview zu kleben und zu klittern, bis eine ihm genehme „Interview-Collage“ herauskam, die — marktgerecht aufbereitet — trefflich in die gegenwärtige Vorurteilslandschaft paßte. Dabei bot er Ströbele nicht einmal die Gelegenheit, den Text in der veröffentlichten Form zu autorisieren, eine sonst selbstverständliche, nicht nur rechtlich gebotene Übung wahrhaft seriösen Journalismus‘.
Da jeder, der Ströbele kennt, weiß, daß er zwar kein Pazifist, aber schon gar nicht Antisemit, Rassist oder auch nur ein Feind des Staates Israel ist, auch wenn er die gegenwärtige offizielle Politik scharf kritisiert, ist es absurd, ihm Äußerungen oder Auffassungen in den Mund zu legen, mit denen man ihn zum Antisemiten stempeln könnte.
Allerdings — hätte Ströbele mich vorher über Broder befragt, so hätte ich ihm zu größerer Vorsicht geraten: nicht ohne verläßliche Zeugen und nicht ohne eigenes Tonband!
Daß Broder, ein Journalist im Winkel, nicht das Format für einen Mossad-Mann hat, spricht bereits aus seinen Formulierungen in einem Brief an den Rechtsanwalt von Ströbele. Dort entlarvt er seine eigentlichen Intentionen: Bei meinen nächsten Veröffentlichungen werde ich ergänzend auf Äußerungen von Herrn Ströbele hinweisen, die bisher nicht in die Öffentlichkeit gedrungen sind und seine Position hinsichtlich Israel entscheidend präzisieren. Sollte Herr Ströbele der Meinung sein, daß er die Talsohle seiner politischen Karriere noch nicht erreicht hat, bin ich gern bereit, ihn auf diesem Weg zu begleiten. Es wird mir ein Vergnügen sein.
Hier zieht Broder mit dankenswerter Offenheit die Tarnung von seinen Absichten. Es ist zu hoffen, daß dieser journalistische Glücksritter nicht noch publizistisch oder gerichtlich von seinem „großen Ding“ erschlagen wird. RA Klaus Eschen, Berlin
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