: Tag der Rücktrittsforderungen in Sachsen-Anhalt
■ Gies im Rundumschlag gegen Tschiche, Pressegesetz und Veröffentlichungen zu seiner Person/ Bündnis 90 zückt die rote Karte
Magdeburg. Die 12. Sitzung des sachsen-anhaltinischen Parlaments geriet zu einem Tag der geballten Rücktrittsforderungen. Was noch ruhig mit der Erörterung zum halleschen Sparkassenskandal in einer von der CDU-Fraktion beantragten aktuellen Debatte begann, weitete sich dann am Donnerstag nachmittag zum Eklat aus. Ministerpräsident Gerd Gies holte bei seiner Begründung des Entwurfs der Landesregierung zum Pressegesetz für Sachsen- Anhalt unvermittelt weit aus und warf dem Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Grüne, Hans-Jochen Tschiche, vor, er wolle die Presse zu einem „Terrororgan“ umfunktionieren. Gies verstieg sich in Vergleiche wie: Tschiche begebe sich „langsam auf den Weg eines Kurt Hager oder Joachim Hermann“. Getroffene Hunde bellen, und der so in Harnisch geratene Premier konterte öffentlich gewordene Angriffe des Neuen Forums Roßlau gegen seine Person, die ihm Privilegien in der Staatsjagd vorwarfen. Gies behauptet, nie zur Jagd gegangen zu sein. Doch damit nicht genug.
Als nächstes startete Gies einen Angriff gegen den SPD-Entwurf eines Landespressegesetzes. Ein Passus, der den CDU-Mann besonders zu stören scheint: Redakteure sollen nämlich das Recht zugesprochen bekommen, Veröffentlichungen gegen ihr persönliches Verantwortungsgefühl ablehnen zu dürfen. Außerdem kritisierte Gies den von den Sozialdemokraten gemachten Vorschlag, in den Zeitungen regelmäßig die Namen der Geldgeber des Blattes abzudrucken.
Während der Ministerpräsident seine Rede vortrug, verließen Abgeordnete von SPD und Bündnis90/ Grüne aus Protest den Sitzungssaal. Hans-Jochen Tschiche verwahrte sich gegen solche Angriffe, sie würden gegen den Stil im Parlament verstoßen. Er sei selbst einer der Träger der demokratischen Veränderungen im Herbst '89 gewesen, in einer Zeit, in der Gies noch „andere Äußerungen“ von sich gegeben habe, konterte der Mitbegründer des Neuen Forums. Auch SPD-Fraktionsvorsitzender Höppner sagte, daß er sich für die Äußerungen des Premiers schäme. Wenn er Landtagspräsident wäre, hätte er die Aussagen bestimmt gerügt. Den Entwurf seiner Fraktion begründete der SPD-Politiker mit „DDR-eigenen Erfahrungen“, die die Bevölkerung mit der Presse gemacht habe. Bündnis-90-Abgeordnete Ute Scheffler fügte hinzu, daß sich der Ministerpräsident mit seinen Äußerungen disqualifiziert habe, er sei als Oberhaupt von Sachsen-Anhalt nicht mehr tragbar. Während der Zeit dieser Erörterungen befand sich der Ministerpräsident bereits nicht mehr im Tagungssaal, so daß er selbst die Bitten der Abgeordneten, er möge doch seine Worte zurücknehmen, nicht hören konnte.
Den zweiten Angriff startete die SPD gegen Bildungsminister Sobetzko, dessen Rücktritt gefordert wurde. Die Sozialdemokraten warfen dem Minister Lendenschwäche vor, da er es offenbar nicht vermöge, sich gegen seine eigenen Parteifreunde durchzusetzen. Ersichtlich sei das an dem von ihm vorgelegten Entwurf zum Schulgesetz, der bereits im Vorfeld der Parlamentsdebatte durch CDU und FDP geändert wurde.
Heiß her ging es auch bei der Behandlung des Spielbankengesetzes. Während die Regierungsparteien die dadurch zusätzlichen Landeseinnahmen lobten, käme „nach Videotheken, Peepshows und Bordellen nun eine weitere kulturelle Errungenschaft aus der westlichen Welt“ in den Osten, interpretierte Bündnis 90/Grüne-Fraktionsvorsitzer Tschiche das Gesetz. Dieses Gesetz sei das unnötigste, was zur Zeit gebraucht werde. Es gehöre nicht in den Landtag, sondern in ein Kabarett. abc
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