: Alltag im Olymp
■ Die Schaubühne mit Heinrich von Kleists »Amphitryon« im Hebbeltheater
Unter keinen Umständen sollte man seinen Personalausweis einem Wegelagerer zur Ansicht überreichen. Es könnte sein, daß dieser Kerl ein olympischer Gott ist, zur Erde niedergestiegen, um unseren Platz einzunehmen. Es könnte sein, daß er die absolut fälschungssichere Plastikkarte einfach in die Tasche steckt, einen selbst zur Fälschung erklärt und die Sache mit ein paar wuchtigen Götterhieben besiegelt.
Der Regisseur Klaus-Michael Grüber wartet mit diesem Kalauer genau so lange, bis Udo Samel als Sosias und Gerd Wameling als Merkur in ihrem Verdoppelungsspiel jene Spannung erreicht haben, durch die auch der dümmste Witz eine unvermutete Fallhöhe erhält. Jetzt zielt der Witz auf uns, oder doch auf diejenigen unter uns, die immer noch glauben, man könne die Götter mit grünen Kärtchen besänftigen. Und spätestens in diesem Moment wissen wir auch, daß Grübers Inszenierung des Amphitryon, für die die Schaubühne extra das Hebbeltheater angemietet hat, keine Kleist-Feier werden wird, kein Fest der schönen Stellen. Gerade die geschehen hier eher beiläufig, im Dunklen und ganz leise. Grüber will nichts beweisen, er geht von den Schauspielern aus. Er probiert, was ihnen möglich ist. Manchmal bleibt er ihnen ganz fern, und manchmal kommt er ihnen sehr nah.
Jutta Lampes Spiel der Alkmene ist schwindelerregend und kein bißchen überraschend. Wenn sie, vom ersten furchtbaren Zweifel ergriffen, ob der, der sie besucht hat, wirklich ihr Mann Amphitryon war, taumelnd die Hände von sich streckt, steht mit Alkmene auch Phaedra auf der Bühne. Und wenn wir auf dem Höhepunkt ihrer Liebesverwirrung zu Tränen gerührt sind, dann ist es dieselbe Rührung, mit der wir damals in Kalldewey Farce ihre Erzählung vom Selbstmord des Jungen anhörten. Auch damals mußten wir uns auf die Lippe beißen und hätten am liebsten geschluchzt. Jetzt, wenn sie das ersehnte »Ach« ausspricht, geht es uns ähnlich. Unvergleichlich sind die Synkopen und Ritardandi ihrer Sprechweise. Unvergleichlich ihr schmerzvoll schönes Lachen, ihre makellos aufrechte Haltung, die Grazie, mit der sie die Hände vors Gesicht schlägt. Grüber inszeniert Jutta Lampe wie eine Ikone. Er gießt ein Lichtermeer über ihr aus, er bewundert sie unendlich, aus der Ferne. Vom Liebesleben der Alkmene will er nichts wissen.
Vielleicht ist es auch nicht allein ihre Schauspielkunst, die uns schwindeln läßt. Vielleicht ist es zu einem gut Teil die Technik. Gilles Aillauds Bühne wird hinten von einem himmelblauen Halbrund begrenzt. Davor befindet sich eine kreisrunde Scheibe, deren Ränder unterschiedlich hoch sind. Jutta Lampe steht meistens im Mittelpunkt dieser Scheibe. Da sie die Bewegung mit kleinen Schritten ausgleicht, merkt man zuerst nicht, daß sich die Scheibe langsam dreht. Man sieht nur den Wechsel der Lichtatmosphäre, der im Rhythmus eines ruhigen Atmens Tag und Nacht simuliert. Und man hört einen leisen, zähen Ton im Hintergrund. Wer auf die Sprache hört, ist Klang, Licht und Bewegung ausgeliefert. Sie entrücken die Begegnung Alkmenes und Jupiters (Peter Simonischek) in den Traum. Was in jener Nacht geschah, wird auf ewig rätselhaft bleiben.
Grübers Interesse und auch seine Liebe gilt den anderen. An Amphitryon (Otto Sander) und Merkur interessieren ihn die verschiedenen Arten von Brutalität. Der Feldherr ist ein Heißsporn und der Gott hat jene lässige Bereitschaft, sofort zuzuschlagen, die Bodyguards auszeichnet. Was dem einen im Affekt unterläuft, ist für den anderen beruflicher Alltag. Der Olymp ist öde. Es geht dort zu wie im Pentagon. Die Liebe des Regisseurs gilt jenen, die in beiden Welten die armen Teufel sind, die für ihre eigene Abschaffung viel Prügel beziehen. Sie gilt Sosias, dem Diener Amphitryons, an dem alle ihr Mütchen kühlen, dem zuletzt sogar von seinem Weib so zugesetzt wird, daß er sich kaum auf den Beinen halten kann. Sosias bekommt immer wieder zu spüren, daß seine Visage keinen Respekt verdient. Man greift ihm ins Gesicht und schüttelt ihm die Worte aus dem Mund. Amphitryon tritt ihm nicht bloß einmal in den Hintern, sondern solange, bis ihm selbst das Bein schmerzt.
Weit mehr als Alkmenes Lebensgefahr liegt Grüber die des Sosias am Herzen. Sosias sähe sich vielleicht gar nicht ungern abgeschafft, aber Strafe und eigenes Ungeschick beweisen ihm immer wieder, daß er sehr wohl leibhaftig existiert. Udo Samel macht aus Mißgeschick die Regel. Er läuft auf die Bühne und schlägt lang hin. Es gelingt ihm einfach nicht, mit dem linken Fuß das linke Hosenbein zu treffen, und vor seiner verschlossenen Haustür bekommt er eingedenk der Würste, die sein Doppelgänger Merkur gerade hineinschlingt, einen Niesanfall, so daß er sich schließlich den Rotz von der Hand abschlagen muß. Samels Artikulation ist die Sprache dessen, der Strafe immer gewohnt ist, aber nie, in einger Sache angehört zu werden. Er stößt kurze Kehllaute hervor, grunzt und schnappt nach Luft, als könne er gefährliche Worte wieder rückgängig machen.
Die Liebe Grübers gilt auch und vielleicht vor allem der Frau des Sosias, der Charis von Imogen Kogge. Charis möchte klug werden an Alkmenes Schaden. Was Alkmene widerfährt, das möchte sie für sich ein bißchen arrangieren. Es deutet zwar wenig darauf hin, aber auch ihr Mann, Sosias, könnte ein Gott sein. Also prüft sie ihn ein bißchen, bis der Wunsch übermächtig wird. Dieses eine Mal muß Sosias der Donnergott sein, weil sie es so will. Und wie Imogen Kogge die trostlose Wirklichkeit in ihren Wunsch verwandelt, das ist umwerfend. Sie stößt ein Gebirge spitzer Schreie aus, sie galoppiert wiehernd im Kreis, sie wirft sich ihrem Mann vor die Füße und läßt sich von ihm über die halbe Bühne schleifen. Die Freude bringt sie fast um. Alles, was dieser Szene noch folgt — Ruhm und Ehre für Amphitryon, Theaterdonner und Götterregen für Jupiter, Ohnmacht und ein Seufzer für Alkmene — muß verblassen vor dieser kleinen und folgenlosen Verwechslung, für diesen einen Moment vollkommener Selbstvergessenheit. Doja Hacker
Amphitryon von Heinrich v. Kleist. Regie: Klaus-Michael Grüber. Bühne: Gilles Aillaud. Kostüme: Rudy Sabonughi. Dramaturgie: Dieter Sturm. Mit Peter Simonischek, Gerd Wameling, Otto Sander, Udo Samel, Jutta Lampe. Imogen Kogge. Nächste Vorstellung: 26. März 20 Uhr im Hebbeltheater.
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