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KOMMENTAREWeder Geld noch gute Worte

■ Über den Investitionsbedarf in Ostdeutschland wird weiter geschwiegen

So erstaunlich ist es gar nicht, daß der brandenburgische sozialdemokratische Ministerpräsident Manfred Stolpe den CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl vor der Kritik in Schutz nimmt, für die ostdeutsche Wirtschaft werde zu wenig Geld zur Verfügung gestellt. Mit einigem professionellen Unbehagen, aber auch mit einer gewissen Einsicht in die Notwendigkeit räumen selbst erzliberale Wirtschaftswissenschaftler ein, daß die Mittel, mit denen die Bundesregierung den Aufschwung-Ost herbeiführen will, über weite Strecken der sozialdemokratischen Politik entnommen sein könnten: Konjunkturförderprogramme, die ein Mehrfaches der Dimension haben, die in den siebziger Jahren von der damaligen SPD/FDP-Regierung aufgelegt wurden, ferner die zentrale Rolle des Staates, um die Konjunktur zu lenken, oder auch die umfänglichen Produktionssubventionen für den Osthandel.

Dies alles hat nur begrenzte Wirkung, weil die WirtschaftspolitikerInnen in dieser Situation nicht auf die private Wirtschaft rechnen können. Lausige zehn Milliarden Mark wollen westdeutsche Industriefirmen in diesem Jahr in den neuen Ländern investieren, hat das Münchner 'ifo‘-Institut erfragt. Das ist pro Ost-Arbeitsplatz nur ein Drittel des Betrages, der auf einen West-Erwerbstätigen entfällt. Anders ausgedrückt: Das Modernitätsgefälle zwischen Ost und West wird sich in diesem Jahr noch deutlich vergrößern. Sollten von den derzeit zweieinhalb Millionen Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe Ostdeutschlands auch nur die Hälfte mit wiederum der Hälfte der westdeutschen Kapitalausstattung versehen werden, wären allein dafür 125 Milliarden Mark notwendig, mehr als alle bisher beschlossenen staatlichen Fördermaßnahmen zusammen. Auf die Frage schließlich, wie hoch die Investitionen sein müssen, um überhaupt ein bestimmtes Beschäftigungsniveau zu halten, mag zur Zeit überhaupt kein Experte mehr antworten, damit nicht noch der letzter Rest Hoffnung zerstört wird.

Nichtbetroffene konnten in den letzten Monaten mit einem gewissen Zynismus beobachten, wie das Datum immer wieder herausgeschoben wurde zu dem der Aufschwung-Ost beginnen sollte. Entscheidende Maßzahl dafür ist und bleibt die West- Investition. Bleibt sie so niedrig wie in diesem Jahr, ist es ein Gebot der Ehrlichkeit öffentlich einzugestehen, daß an einer den West-Bundesländern vergleichbaren Industriestruktur im Osten kein ökonomischer Bedarf mehr besteht. Dagegen helfen keine Wirtschaftsprogramme, so sozialdemokratisch sie auch sein mögen. Dietmar Bartz

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