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Einigung beim deutsch-polnischen Vertrag

Keine Sonderbestimmungen für die deutsche Minderheit/ KSZE-Rahmen gilt als ausreichend/„Subjektives Kriterium“ für Nationalitätenbestimmung ausschlaggebend/ Spaltung bei den Oberschlesiern/ Umstrittenes Treffen am Annaberg  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Nach Ansicht gut informierter Kreise in Warschau stehen die Verhandlungen zum deutsch-polnischen Vertrag über gutnachbarliche Beziehungen und Zusammenarbeit unmittelbar vor dem Abschluß. Bei der letzten Sitzung der Unterhändler am vergangenen Mittwoch sei praktisch in allen Punkten Einigkeit erzielt worden. Eine voraussichtlich letzte Verhandlungsrunde ist für Anfang April vorgesehen. Bis jetzt war vor allem die Frage der deutschen Minderheit in Polen noch strittig gewesen. Polen wehrte sich insbesondere gegen die besonders von Vertriebenenkreisen und Vertretern der deutschen Minderheit selbst vorgebrachte Forderung nach einer Privilegierung der deutschen Minderheit in Polen. Wie nun verlautet ist Bonn von dieser Forderung abgegangen. Ausschlaggebend sei dabei vor allem die Tatsache gewesen, daß dann ja auch die Polen in der Bundesrepublik einen Sonderstatus beispielsweise gegenüber türkischen Einwanderern verlangen könnten. Schließlich habe sich erwiesen, daß die Bezugnahme auf das Abschlußdokument der Kopenhagener KSZE-Konferenz vom Juni letzten Jahres für beide Seiten von Vorteil sei.

Die Unterzeichnerstaaten erkennen darin das sogenannte subjektive Minderheitenkriterium an, demzufolge jeder einzelne seine Zugehörigkeit zu einer Minderheit bekunden kann und diese Erklärung dann für den Staat und die Behörden verbindlich ist. Dies war bei der deutschen Minderheit in Polen stets strittig gewesen, da polnische Behörden lange Zeit von objektiven Kriterien ausgegangen waren und versucht hatten, nachzuweisen, daß es sich bei den deutschen Schlesiern eigentlich um Slawen und bei deren Deutschorientierung um sozialen Opportunismus handle. Künftig spielen solche Kriterien keine Rolle mehr, nur der einzelne bestimmt seine Nationalität.

Für die polnische Seite ist dagegen besonders jener Teil der Kopenhagener Erklärung wichtig, in dem davon die Rede ist, daß die Inanspruchnahme der Minderheitenrechte „nicht zu Handlungen führen darf, die mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen, dem Völkerrecht und den Vereinbarungen der Schlußakte, besonders dem Grundsatz der territorialen Unantastbarkeit des Staates im Widerspruch stehen“. In Polen betrachtet man diese Vereinbarung besonders als Sicherheit gegen verschiedene Aktionen zur „Europäisierung Schlesiens“, wie sie bisher bereits von verschiedenen Vertriebenenfunktionären propagiert worden waren.

Voraussichtlich ausgeklammert wird in dem polnisch-deutschen Vertrag dagegen die Frage der Staatsangehörigkeit für die Deutschen in jenen Gebieten, die bis 1937 zum Deutschen Reich gehörten. So werden diese Menschen auch weiterhin die Möglichkeit haben, deutsche Pässe zu erhalten und damit — entgegen polnischer Rechtsauffassung — praktisch Doppelstaatsbürger sein. Allerdings gibt es in Bonn Bestrebungen, besonders mit Blick auf den zu erwartenden Strom deutscher Aussiedler aus der Sowjetunion, die Kriterien bei der Feststellung der Staatsbürgerschaft zu verschärfen. Bereits jetzt wird das entsprechende Verfahren für aus Polen kommende Aussiedler nur noch an der Botschaft in Warschau abgewickelt, eine Antragstellung nach der Einreise in die Bundesrepublik ist nicht mehr möglich.

Das polnische Kultusministerium wird künftig auch Veranstaltungen und Einrichtungen der deutschen Minderheit subventionieren. Bisher, so hieß es in der dafür zuständigen ressortübergreifenden Arbeitsgruppe für nationale Minderheiten in Warschau, hätten die gesellschaftlich-kulturellen Vereinigungen der Minderheit keine entsprechenden Anträge gestellt. Die Köpfe des „Zentralrats der deutschen Minderheit“ in Gogolin bei Oppeln hatten befürchtet, eine Annahme polnischer Zuschüsse verpflichte sie zur Offenlegung ihrer Finanzen und ermögliche so eine Kontrolle der aus Deutschland kommenden Gelder durch polnische Behörden. Erstmals nach dem Besuch von Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth hat sich der Gogoliner Verein nun an die Arbeitsgruppe mit dem Antrag gewandt, das für den 17./18. Mai auf dem St. Annaberg geplante Schlesiertreffen zu bezuschussen. Süssmuth hatte die Minderheitenvertreter davor gewarnt, sich einseitig politisch und finanziell von den Vertriebenen abhängig zu machen. Auch bei einzelnen Vertretern der Minderheit setzt sich immer mehr die Ansicht durch, daß sie sich so bei anderen politischen Kräften in Deutschland und Polen zunehmend isolieren. Vor diesem Hintergrund hat es vergangenes Wochenende auch bereits eine Spaltung der Minderheitenbewegung gegeben. Unter der Leitung des Kattowitzer Soziologen Dietmar Brehmer entstand dort der „Hauptrat der deutschen Minderheit“ in der Woiwodschaft Kattowitz, der nach eigenen Angaben 15 Freundschaftskreise mit 20.000 Mitgliedern vertritt und praktisch in Konkurrenz zum Gogoliner Zentralrat entstanden ist. Brehmer war nach eigenen Angaben auf Druck von BdV-Generalsekretär Hartmut Koschyk Ende letzten Jahres aus dem Zentralrat entlassen worden (wir berichteten).

Ebenfalls Aussichten auf polnische Zuschüsse haben die 'Oberschlesischen Nachrichten‘, ein zweisprachiges Zweiwochenblatt, das in Oppeln erscheint und um dessen Übernahme inzwischen Verhandlungen zwischen dem Oppelner „Bund der Oberschlesier“ und dem Gogoliner Verband geführt werden. In Oppeln soll demnächst auch eine zweisprachige Radiosendung anlaufen. Auf dem St. Annaberg gibt es gleichzeitig Pläne für eine deutsch- polnische Fernsehstation. Dort herrscht auch eine gewisse Beunruhigung nach der Ankündigung des Vertriebenenorgans 'Schlesische Nachrichten‘, wonach am 17./18. Mai dieses Jahres dort ein großes Schlesiertreffen der Vertriebenen und der Minderheit stattfinden soll. Der Termin fällt nämlich zusammen mit dem 70. Jahrestag des Dritten Schlesischen Aufstandes, der zugleich von polnischen patriotischen Organisationen am gleichen Ort begangen werden soll.

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