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Filz in den Chefetagen von Sachsen-Anhalts Parlament

■ Mit einer großen Anfrage wollen die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Grüne endlich Licht in das Dunkel um Minister Wolfgang Braun bringen

Magdeburg. Die Vergangenheit des Innenministers von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Braun (CDU), bleibt im Dunkeln. Der Innenausschuß des Parlaments konnte in einer Sondersitzung nicht vollkommen erhellen, was an den Vorwürfen dran ist, daß Braun vor der Wende für Kripo und Staatssicherheit gespitzelt habe. Ausschußvorsitzender Klaus Jeziorsky (CDU) teilte in seinem Bericht an den Landtag lediglich mit, daß Brauns ehemaliger Führungsoffizier bei der Magdeburger Kriminalpolizei, Felix, den Minister mit einer eidesstattlichen Erklärung zumindest teilweise entlastet habe. Der handschriftliche Vermerk „soll positiv genutzt werden“ auf der vom 'Spiegel‘ veröffentlichten Personalkarteikarte Brauns habe jedoch in seiner Bedeutung nicht geklärt werden können. Felix war in der Sondersitzung des Innenausschusses nicht selbst anwesend, seine eidesstattliche Erklärung wurde von Braun selbst und seinem Staatssekretär Hans-Peter Mahn (CDU) überreicht. Mahn habe in der Sitzung zugeben müssen, daß die Erklärung von Felix das Ergebnis einer Art Verhör war, das er mit dem ehemaligen Polizeioffizier geführt habe. Nach der Bedeutung der handschriftlichen Vermerke habe er den Offizier nicht befragt. Die SPD- Fraktion habe noch in der Sondersitzung des Innenausschusses ein mögliches „Unterstellungsverhältnis zwischen Felix und Braun beziehungsweise Mahn“ kritisiert, teilte Jeziorsky mit. Die eidesstattliche Erklärung sei also nach Ansicht der Sozialdemokraten mit einiger Vorsicht zu genießen.

Ausdrücklich empfahl der Innenausschuß in seiner Sondersitzung dem Parlamentsausschuß zur Überprüfung der Landtagsmitglieder, im Falle Braun die Beziehungen zwischen der Abteilung K1 der Magdeburger Kripo und der Staatssicherheit zu beachten. Eine solche Beziehung war von Braun und seinen Mitarbeitern bislang immer geleugnet worden. „Schönfärberei“, kritisierte Manfred Püchel von der SPD- Fraktion denn auch solche Erklärungen des Ministers. „Jedem, der hier gelebt hat, ist klar, daß zumindest die Spitzenleute der K1 auch hauptamtliche Mitarbeiter des Stasi waren.“ Schließlich habe der Bereich Republikflucht und die Überwachung der Transitwege zu den erklärten Aufgaben der K1 gehört.

Aber auch ohne eine solche direkte Beziehung reichen die bisherigen Skandale Brauns nach Auffassung der SPD vollkommen aus, den Rücktritt des Rechtsaußen im Kabinett Gies zu fordern. „Seit fünf Monaten kommt der Minister nicht mehr aus den Negativschlagzeilen heraus“, kritisierte Manfred Püchel in der Parlamentsdebatte nach dem Bericht des Innenausschusses. „Herr Braun, Sie sind eine Belastung für die Regierung und dieses Parlament — treten Sie endlich zurück!“

Mit einer großen Anfrage wollen die Fraktionen von SPD und Bündnis90/Grüne jetzt Licht in das Dunkel um Minister Braun bringen. Diese Anfrage umfaßt nicht nur den Komplex einer möglichen Spitzeltätigkeit für Kripo und Stasi, sondern auch die undurchsichtige Personalpolitik Brauns. Denn der hatte, wie berichtet, den dubiosen Frankfurter Privatdetektiv Klaus-Dieter Matschke und einen V-Mann aus der Drogenszene Frankfurts zu den ersten Polizeibeamten Sachsen-Anhalts gemacht. Entgegen jeglichem öffentlichen Dienstrecht.

Außerdem wollte er Rigo Klapa zum Polizeiinspekteur und damit zum Polizeichef des Landes machen. Erst nach massiven Protesten gerade auch aus der Polizei zog Braun Klapa in die zweite Reihe zurück. Der Polizeioffizier ist jetzt Inspekteur der Polizei im Regierungsbezirk Magdeburg. „Ein echtes Unding“, findet Püchel von der SPD-Opposition. Denn der SPD-Fraktion liegen inzwischen schriftliche Zeugenaussagen zu Klapas Vergangenheit vor. „Danach war Klapa nicht nur an maßgeblicher Stelle an der gewaltsamen Niederschlagung der Demonstrationen am 6. und 7. Oktober 1989 in Magdeburg beteiligt, sondern hat sich anschließend im Bekanntenkreis sogar noch damit gebrüstet“, betont Püchel.

Außerdem stünden noch immer Braun zugeschriebene Zitate im Raum, die der Minister nie dementiert habe, ergänzt SPD-Fraktionssprecher Jürgen Kriesch. „Braun soll danach gesagt haben, daß Mitbestimmung der Personalvertretungen und Mitspracherecht der Gewerkschaften in seiner Polizei nichts zu suchen haben“, erläutert Kriesch. „Außerdem wird ihm auch die Äußerung zugeschrieben, daß damals schon als belastet bekannte Polizeibeamte am besten die Gewähr bieten, die Polizei bis ins letzte Glied zu ordnen.“

Äußerungen, die durchaus vorstellbar sind bei einem Minister, der sein Weltbild nach eigenem Bekunden in der preußisch-bayerischen Militärtradition und ihrer Tugenden sieht. „Aber diese Ordnung hat wohl Klaus Schmidt aus Niedersachsen ganz schön durcheinandergebracht“, mutmaßt Kriesch. Schmidt war, wie berichtet, aus Niedersachsen nach Sachsen-Anhalt delegiert worden, um dort als Polizeiinspekteur die Polizei neu zu ordnen und aufzubauen.

Vor wenigen Tagen hatte er, nur vier Wochen nach seiner Berufung, sein Amt niedergelegt und Magdeburg nahezu fluchtartig verlassen. In Telefongesprächen mit der taz wies Schmidt alle Erklärungen des Magdeburger Innenministeriums zurück, wonach er ausschließlich aus persönlichen Gründen nach Niedersachsen zurückgekehrt sei. „Bei den Rahmenbedingungen und Strukturen, die ich in der Polizei und im Innenministerium vorfand, konnte ich meine Aufgabe einfach nicht realisieren.“ Er hoffe, daß sein plötzlicher Abgang in Sachsen-Anhalt auch eine gewisse Signalwirkung habe, um doch noch gewisse Dinge im Ministerium und der Polizei so zu verändern, daß alte Strukturen nicht nahtlos in die neue Zeit mitgenommen werden. In der großen Anfrage wollen SPD und Bündnis 90/Grüne jetzt die Regierung zwingen, die Karten auf den Tisch zu legen und die wahren Gründe für Schmidts plötzlichen Rückzug zu nennen.

„Denn wir wissen, daß insbesondere bei hohen Polizeioffizieren mit starken Belastungen nicht eine Kündigungswelle, sondern bloß ein Personalkarussell stattgefunden hat“, unterstreicht Püchel. „Die wurden lediglich an andere Stellen versetzt, um sie aus der vorderen Schußlinie herauszunehmen.“ Rigo Klapa sei kein Einzelfall, sondern eher typisch für die Personalpolitik Brauns in Sachen Polizei. „So kann man keine demokratische Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat aufbauen“, findet Manfred Püchel und bekräftigt noch einmal seine Rücktrittsforderung gegenüber Braun.

Rücktrittsforderungen gibt es auch gegen Ministerpräsident Gerd Gies (CDU) selbst. Der hat bislang weniger durch eigenes Wirken die Aufmerksamkeit der Medien erregt, sondern eher durch die Skandale seines Innenministers, die er offenbar ganz im Sinne von CDU-Übervater Helmut Kohl auszusitzen gedenkt. In dieser Woche wollte er aber ganz offensichtlich aus dem Schatten Brauns heraustreten. In der Parlamentsdebatte um das Pressegesetz des Landes beschuldigte er den Fraktionschef von Bündnis 90/Grüne, Hans-Jochen Tschiche, die Presse als „Terrorinstrument“ zu mißbrauchen und verglich den langjährigen Oppositinellen im SED-Regime sogar mit den Politbürobonzen Kurt Hager und Joachim Hermann.

Obwohl sich sogar die CDU- Fraktion noch am gleichen Tag von diesem Gies-Ausfall distanzierte, hielt es Gies in der Fortsetzung der Landtagssitzung am Freitag nicht für nötig, sich für die völlig haltlosen Vorwürfe zu entschuldigen. Grund genug für die Opposition, erneut seinen Rücktritt zu fordern. „Der Ministerpräsident möge zurücktreten, um den Schaden, den er dem Land Sachsen-Anhalt zugefügt hat, zu begrenzen“, forderte zum Beispiel PDS- Fraktionschefin Petra Sitte. Die Vorwürfe des Ministerpräsidenten gegen Tschiche seien eine Ungeheuerlichkeit. Der Regierungschef solle sich erst einmal an die eigene Nase fassen, bevor er Menschen, die schon seit 20 Jahren nachweislich Oppositionelle waren, in dieser Weise angreife. „Denn schließlich ist es Herr Gies als Mitglied der Blockflötenpartei CDU, dem in der Geschichte der SED im Bezirk Magdeburg ein eigener Abschnitt gewidmet ist“, betonte Petra Sitte. „Herrn Tschiche ist das nicht gelungen.“ Eberhard Löblich

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