: Geplatzte Träume im Bremer Norden
■ Der TV Grambke, Bremens vergangener Handball-Stolz, bleibt drittklassig
Im rustikalen Vereinsheim des Turnvereins zu Grambke gibt es eine Wand, die ist behängt mit allerlei Devotionalien aus sportlich berühmteren Tagen. Zwischen Fotos, Wimpeln und noch manch anderem erinnerungsträchtigen Objekt prangt eine kleine Ehrentafel, auf der ein gutes Dutzend erschöpfter, doch triumphierend dreinblickender Handballspieler abgebildet ist. „Zum Aufstieg in die 1. Bundesliga“ steht in Sonntagsschrift daneben, und etwas weiter oben der Termin: „Am 5. Februar 1972.“
An jenem denkwürdigen Tag hatte das Grambker Team, angeführt von den damals stadtbekannten Ballwerfer-Heroen Rolf Harjes und Wilfried Lankenau, das alles entscheidende Spiel zum Einzug in die Eliteklasse gewonnen. Lankenau, später 26mal für die BRD im internationalen Einsatz, bekommt noch heute feuchte Hände, wenn er an das Match nur denkt: „Diese begeisterten Zuschauer in der ausverkauften Stadthalle, die Stimmung — das war Wahnsinn! Sowas gibt's echt nur einmal im Leben!“
Doch war der Grambker Höhenflug von kurzer Dauer — die Mannschaft wurde fortan zügig nach hinten weitergereicht. Ein Abstieg jagte den nächsten, bis sich die Bremer schließlich in der unterklassigen Nordseeliga wiederfanden. Detmar von Salzen, damals wie heute Teamchef der Gelb-Schwarzen: „Es waren magere Zeiten.“
Für glorreichere Erlebnisse sollten nun in dieser Saison einige Handballrecken sorgen, die der TVG eigens aus Rostock importiert hatte: Das Ziel war der Aufstieg in die 2. Liga. Doch arges Verletzungspech, Unstimmigkeiten in der Mannschaft und ein unzureichender Trainingsaufwand machten die hochfliegenden Pläne frühzeitig zunichte.
Ungeahnt große Umstellungsprobleme plagten überdies die hocheingeschätzten Ballvirtuosen aus der ehemaligen DDR: Tilo Strauch, einer der Neuzugänge aus Rostock, hatte im Osten zehnmal pro Woche trainiert und halbtags als KFZ-Mechaniker gearbeitet. In Bremen arbeitet er ganztags und findet sich nur noch viermal wöchentlich beim abendlichen Training ein. Tilo Strauch: „Das belastet einen natürlich ganz schön, obwohl der Verein mir auch sehr geholfen hat. Trotzdem bin ich abends oft völlig geschafft.“
Nicht minder stark wirkte sich die berufliche Beanspruchung auf den zweiten Rostocker in Grambker Diensten aus. Jürgen Rohde, dereinst die Nummer Zwei im DDR-Nationaltor, startete vielversprechend in die Saison, ehe ihn eine Arbeitsverletzung aus dem Tritt brachte: Rohde, seit seiner Übersiedlung in den Westen als Estrichleger tätig, handelte sich bei seiner fordernden Beschäftigung eine hartnäckige Schleimbeutelentzündung ein. Wenig später, der gebeutelte Tormann war gerade auf dem Wege der Genesung, widerfuhr ihm das nächste Malheur: Mitten in Bremen wurde er von einem Auto angefahren und schwer verletzt. Derzeit versucht Rohde, durch Krankengymnastik den Anschluss wiederherzustellen. „Wir haben ganz einfach auch zuviel Pech gehabt“, klagt Tilo Strauch rückblickend, und Trainer Jörg Schröder beklagt die fortgesetzte Ungemach: „Manchmal war ein vernünftiges Training einfach nicht mehr möglich.“
Unterdessen ist der Aufstiegstraum längst ausgeträumt beim TV Grambke. Der Rückstand auf die Tabellenspitze ist erheblich, die verkorkste Saison gottseidank bald vorüber. Grambkes Verantwortliche stellen bereits die Weichen für das nächste Jahr: „Dann wird sich einiges ändern“, kündigt von Salzen an, und auch Coach Schröder hat bereits ein Konzept für zukünftige Grambker Handballtaten bei der Hand.
Nur einer weiß noch gar nicht, wie seine Zukunft aussehen wird: Ralf Hannemann, als größtes DDR-Talent zu Saisonbeginn ebenfalls von Empor Rostock zum TVG gekommen, erholt sich gerade bei seinen Eltern von der vierten Operation in dieser Saison. Ein Kreuzbandriß — für einen Handballer eine fatale Verletzung — ließ ihn die gesamte Spielzeit über nicht mehr auf die Beine kommen: Er bestritt kein einziges Pflichtspiel. Ob Ralf Hannemann, gerade zwanzig Jahre alt, überhaupt jemals wieder wird spielen können, ist derzeit völlig ungewiß. Holger Gertz
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