: Das gibt zu denken-betr.: "Juden droht Ausweisung aus Berlin", "Asylbewerber totgeprügelt", "Jugendliche überfielen Roma in Brandenburg", taz vom 21.3.91
Betr.: „Juden droht Ausweisung aus Berlin“, „Asylbewerber totgeprügelt“, „Jugendliche überfielen Roma in Brandenburg“,
taz vom 21.3.91
Drei Berichte an einem Tag über staatliche und private Repressionen gegen Mindernheiten — das gibt zu denken. Das große Deutschland säubert seine Straßen von denen, die von den Nazis noch übrig gelassen wurden; so und nicht anders ist zu bewerten, wenn sich Politik und BürgerInnen an den Nachkommen des Holocausts, Juden und Roma, vergreifen.
Das souveräne Deutschland hat sich seiner Vergangenheit entledigt, und anstatt die historische und somit aktuelle Verantwortung anzuerkennen, wird, wie in Nordrhein-Westfalen, mit serbischen Diktatoren über die „Rückführung“ von Roma in die Favelas von Skopje gedealt; werden, wie Ihr berichtet, Roma zeitgleich mit den Nachrichten über die Ermordung eines „rückgeführten“ Kosovo-Albaners durch die serbische Polizei gleichfalls „rückgeführt“, überfallen 100 (!) Jugendliche eine Gruppe reisender Roma aus Frankreich in Brandenburg. Wie furchtbar, wenn das die neue Freiheit ist.
Neben dem Ekel gegen das Vorgehen der Landesregierungen in Berlin, Düsseldorf und Stuttgart (im übrigen auch Bremen, von wo im letzten Jahr über 50 Roma nach Jugoslawien ebenfalls „rückgeführt“ wurden), stellt sich die Frage an diese, an der Vertreibung Schuldigen, wie sie wohl handeln würden, hätte es nicht den Holocaust gegeben.
Jetzt, wo den verantwortlichen Politikern, und wahrscheinlich eine Mehrheit der Bevölkerung, allein 1.000 Roma in Nordrhein-Westfalen, 300 Juden in Berlin, 80 Roma in Tübingen, 150 in Bremerhaven und eine Gruppe reisender Roma in Brandenburg schon zu viel sind, wie erst würden sie mit den Millionen von Juden und Roma umgehen, die hier vielleicht noch leben würden, wenn nicht das Nazi-Deutschland ihnen die Arbeit sozusgagen schon abgenommen hätte? Michael Frost, Grüner Stadtverordneter in Bremerhaven
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