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Baum, Hammer und Sichel oder Pflug

Im Vorfeld der ersten demokratischen Wahlen in Nepal seit 32 Jahren sind Politiker und Parteien damit beschäftigt, um die Kandidaten zu kungeln/ Die Bevölkerung des bitterarmen Landes kümmert sich derweil um die Sicherung des täglichen Überlebens  ■ Aus Katmandu Tom Trekker

Weniger als zwei Monate vor den ersten demokratischen Wahlen im Königreich Nepal seit 32 Jahren ist in der Hauptstadt Katmandu von Wahlkampf nicht viel zu spüren. Knapp ein Jahr nach dem Sieg der Demokratiebewegung am Himalaya kümmern sich die Bürger um sich selbst. Reis wurde um 20 Prozent teurer, vor einigen Wochen streikten die Piloten der staatlichen Fluggelsellschaft Royal Nepal Airlines für mehr Geld. Nach mehreren Wahlkampftouren über die Dörfer sind Politiker und Parteien derzeit mit sich selbst beschäftigt: In Vorständen, Politbüros und ZKs werden mit Beziehungen und Intrigen die Kandidaten für die 205 Wahlkreise ausgekungelt. Da am 12. Mai nach britischem Direktwahlsystem gewählt wird, ist das Gerangel um Kreise mit starker Anhängerschaft groß.

Kaum ein Dutzend der rund 45 zur Wahl antretenden Parteien und Organisationen wird flächendeckend Kandidaten benennen können. Der Wahlsieg wird nach allgemeiner Einschätzung zwischen drei Gruppierungen ausgemacht: Die größte und traditionsreichste Partei Nepals, die sozialliberale Kongreßpartei, strebt eine Zwei-Drittel-Mehrheit an. An eine Mehrheit glauben auch die Kommunisten, die von der erst kürzlich gebildeten Vereinigten Kommunistischen Partei (Marxisten-Leninisten) angeführt werden. Am rechten Flügel konkurrieren zwei Nationaldemokratische Parteien miteinander, die von ehemaligen Premierministern des durch die Revolution im April 1990 abgeschafften Panchayat-Systems angeführt werden.

Die Wahlzettel werden reichlich unübersichtlich ausfallen. Da vier von fünf erwachsenen Nepalesen nicht lesen können, stehen für die einzelnen Parteikandidaten nur Symbole: ein Baum für die Kongreßpartei, Hammer oder Sichel für Kommunisten; ein bauernfängerischer Pflug für Nationaldemokraten. An die 60.000 Helfer benötigt die Wahlkommission, um den Urnengang in dem zersiedelten Land am Südhang des Himalaya ordnungsgemäß abwickeln zu können. Der große Bruder Indien wird mit Wahlurnen aushelfen.

Das Auszählen der Stimmen von mehr als zehn Millionen Wahlberechtigten und Übermittlung der Ergebnisse wird ein paar Tage dauern: Etwa zwei Drittel aller Ortschaften sind nur durch tagelange Fußmärsche zu erreichen. Strom und Telefon sind auf dem Land eine Seltenheit. Bei der bislang einzigen demokratischen Wahl in Nepal, im Frühjahr 1959, hatte es noch Monate gedauert, bis die Stimmen ausgezählt worden waren. Damals hatten sich nur neun Parteien beworben. Die Kongreßpartei hatte einen haushohen Sieg davongetragen und alleine die Regierung stellen können. König Mahendra, der Vater des jetzigen Monarchen Birendra, hatte das demokratische Experiment aber im Dezember 1960 mit einem unblutigen Putsch beendet und kurz darauf alle Parteien verboten.

Dreißig Jahre lang waren die Parteien, die über lange Perioden hinweg im Untergrund geduldet worden waren, gegen das von König Mahendra eingerichtete parteilose Pandhayat-System Sturm gelaufen — mit bewaffneten und friedlichen Aufständen. Im Frühjahr 1990 dann, nach dem Erfolg der Demokratiebewegungen in Osteueropa, schlossen sich Kongreßleute und Kommunisten zusammen. Nach blutigen Auseinandersetzungen, die nach Angaben der Menschrechtsorganisation FOPHUR mehr als 80 Menschenleben kosteten, gab König Birendra nach. Seither bilden Kongreßpartei und Kommunisten zusammen mit einer Minderheit von Unabhängigen und Königskandidaten eine Koalitionsregierung.

Von innerparteilicher Demokratie halten die Parteien noch nicht viel. „Dazu braucht man noch mehr Zeit, Parteiwahlen gibt es erst im nächsten Jahr“, erklärte Congreß-Sprecher Basu Risal. Die Basis will aber schon jetzt beteiligt werden. Dies mußte die Kongreßpartei bei ihrem Parteitag Mitte Januar erfahren. Als die Parteiführung die Delegiertenzahl unabhängig von der Anhängerzahl festlegen wollte, setzten die Bezirke des Terai, dem an der südlichen Grenze zu Indien gelegenen fruchtbaren und dichtbevölkerten Tiefland, zum Sturm an: Mit Bussen und Lastwagen karrten Terai-Politiker ihre Basis an, der Parteitag mit 15.000 Teilnehmern mußte im Stadion abgehalten werden. Statt Vorstandswahlen gab es nur breite Zustimmung für einen Rohentwurf eines Wahlkampfmanifestes und Resolutionen.

„Gerontokratie“ nennt denn auch der Nachwuchspoliker Pradeep Giri den Führungsstil innerhalb des NC. Die alten NC-Männer Singh, Bhattarai und Korala haben sich, ebenso wie viele Kommunisten der alten Garde, vor allem in den 30 Jahren Opposition bewährt. Auf die neuen Aufgaben konstruktiver Politik sind sie kaum vorbereitet.

Zwar kann Premierminister Bhattarai mit gutem Recht behaupten, er habe in einem Jahr alle seine Regierungsziele erreicht. Das Programm war aber auch entsprechend klein: Beilegung des Handelsstreits mit Indien, Verabschiedung einer demokratischen Verfassung und Wahlen. Nur, so Bhattarai, eine durch Wahlen legitimierte Regierung könne sich daran machen, neue Linien in der Wirtschafts-, Entwicklungs- und Umweltpolitik festzulegen — und damit die Not von mehr als der Hälfte der 20 Millionen Nepalesen, die nicht einmal das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen von 170 US-Dollar erhalten, zu lindern.

Wirtschaftlich geht es dem Land so schlecht wie schon lange nicht mehr. Zwar hat ein reichlicher Monsun im letzen Jahr große Reisernten gebracht und damit die Existenz der 90 Prozent auf dem Land Lebenden gesichert. Zugleich sind aber hektarweise Reisterassen und Land von den Wassermassen weggespült worden. In vielen Bereichen sieht es katastrophal aus: Die Industrie ist durch wochenlange Streiks gelähmt worden, der Tourismus wurde zunächst von der nepalischen Revolution und dann von der Golfkrise getroffen. Der Staat schließlich ist fast bankrott. Seit Mitte Januar müssen Minister und Beamte auf größere Reisen und Empfänge verzichten.

Die Armut der Massen dürfte letztlich auch die Wahl entscheiden: Panchayats erfahrene Politiker versuchen Stimmen zu kaufen, Kongreß-Politiker versuchen das eine oder andere Entwicklungshilfeprojekt in ihren Wahlkreis zu bringen und Kommunisten versprechen allzu oft das Blaue vom Himmel: Land, Arbeit und Wohnung für alle. Doch zu verteilen gibt es in Nepal nicht allzuviel. Außer der Entwicklungshilfe in Höhe von jährlich einer halben Milliarde Mark gibt es noch die Latifundien der Großgrundbesitzer. Doch über eine Landreform war schon die erste demokratische Regierung vor mehr als 30 Jahren gestürzt. Und an die Reichtümer des Königshauses traut sich niemand ran: Der Clan der Shah- und Rana-Familien im Palast von Kathmandu zählt angeblich zu den zehn reichsten der Erde an der Spitze eines der zehn ärmsten Länder derselben.

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