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Vom Bahnland zum Autobahnland

Verkehrsminister Krause will mit Rechtseinschränkungen Autobahnbau in den Ost-Ländern forcieren/ Politiker und Industrielle träumen von neuen und breiteren Autobahntrassen im Osten  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Die DDR war Bahnland, fast wie die Insel, auf der Michael Endes Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, zur Freude der Kinder immer im Kreis herumdampften. Siebzig Prozent aller Gütertransporte zuckelten über die vierzehntausend Kilometer Gleise im SED-Staat. Dann kam der November 1989. Alles wurde anders. Schon im Sommer 1990 waren aus dem einstigen SED- Staat fünf Autoländer geworden, die wenig später zu Bundesländern konvertieren sollten.

Das Volk in den fünf neuen Bundesländern war in Bewegung gekommen. Politisch aber auch rein verkehrstechnisch: Das Auto wurde zum Symbol der neuen Freiheit. Bald schon stellte sich heraus, daß für die vielen Wagen keine entsprechend breiten Straßen zur Verfügung stehen. Staus häuften sich, mehr noch Unfälle. Autofahrer kamen von der Straße ab, und 80 Prozent mehr Kinder wurden totgefahren. Hauptverantwortlich ist diesmal nicht Alkohol oder überhöhte Geschwindigkeit. Die SED hatte die Straßen einfach vernachlässigt: die Verkehrstoten 1990 als späte Opfer des SED-Regimes.

Abhilfe tut Not. Und Minister Krause, vom Chef-Ausverkäufer der DDR auf den Sessel des Bundesverkehrsministers gewechselt, hat genug Erfahrungen als Krisenmanager gesammelt. Deregulieren und Straßen privatisieren, das sind für den Minister faszinierende Ideen.

An radikale Schnitte gewöhnt, denkt der Minister jetzt vor allem an eine radikale Beschneidung von Bürgerrechten und nachgeordneten Behörden. Im Paragraph 2 eines der taz vorliegenden Gesetzentwurfs „zur Beschleunigung der Planung für Verkehrswege“ wird festgelegt, daß der Bundesverkehrsminister bis 1999 in den fünf neuen Bundesländern die „Linienführung der Verkehrswege“ einfach bestimmt. Punkt. Bürger, die gegen das deutlich abgekürzte Planfeststellungsverfahren klagen wollen, soll nach Paragraph 5 nur noch der Weg direkt zum Bundesverwaltungsgericht bleiben. Solche Anfechtungsklagen haben „keine aufschiebende Wirkung“. Nicola Liebert, BUND-Vertreterin für die fünf neuen Bundesländer, geißelt den Entwurf als „obrigkeitsstaatliche Entrechtung“ der Bürger und der betroffenen Kommunen. Geradezu staatssozialistische Anwandlungen zeigt der Enteignungsparagraph 8 des Entwurfs. Krause will den Autobahnbauern den Baubeginn per „Besitzeinweisung“ erlauben, auch wenn ihnen die Enteignung betroffener Bürger noch gar nicht gelungen ist.

Automobilindustrie und Tiefbaukonzerne jubilieren. Auf einem Verkehrssymposion in Berlin legten die die Vorstände von VW, des Verbands der Automobilindustrie (VDA) und des Bauriesen Holzmann zusammen mit Bosch und der Deutschen Bank vorläufige Planungen für das Ost-Autobahnnetz vor. Danach soll die Autobahnschneise Berlin-Hannover als Musterprojekt doppelt so breit wie bisher durch die Mark Brandenburg geschlagen werden. Für die erwarteten 100.000 Blechkisten am Tag sollen zunächst sechs Spuren, später sogar acht, Hannover mit der Hauptstadt verbinden. Während über unterschiedliche private Finanzierungsmodelle für den Autobahnbau im Osten hinter den Kulissen noch gestritten wird, zeichnet sich zumindest für einige Projekte eine breite politische Unterstützung ab. Für sechs Spuren Autobahn von Hannover nach Berlin sprachen sich schon Ende Februar die Ministerpräsidenten der Nordländer aus. Außerdem wollen die fünf Ministerpräsidenten Schröder (SPD), Engholm (SPD), Wedemeier (SPD), Voscherau (SPD) und Gomolka (CDU) eine vierspurige Ostsee-Autobahn von Kiel über Lübeck und Rostock bis mindestens nach Stettin in Polen.

Dafür gab es bei dem Industriesymposion noch keine konkreten Pläne. Geplant werden aber in den Konzernetagen sechs Spuren von Berlin nach Wittstock und von Dessau bis zum Hermsdorfer Kreuz zwischen Jena und Gera. Von dort bis nach Eisenach soll die Autobahn nach Frankfurt (A4) sogar achtspurig durch Thüringen geschneist werden. Auf acht Spuren dürfen sich nach der Jahrtausendwende auch die Autofahrer zwischen Chemnitz und Dresden tummeln — wenn es nach den Industrieplänen geht. Gänzlich neu asphaltiert soll die Trasse von Halle über Magdeburg nach Ludwigslust südlich von Schwerin werden. Auch dort wird nach dem Willen der Industrie geklotzt, nicht gekeckert. Rund 40 Meter breit sind die sechs Spuren, die Sachsen-Anhalts rivalisierende Großstädte Halle und Magdeburg verbinden soll.

Daß neue Autobahnen nur die Auftragsbücher füllen, nicht aber die Verkehrsprobleme lösen, hatte sich schon bis zum Enfant terrible der Branche, VWs Vertriebschef Daniel Goudevert, herumgesprochen. „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“, befand der Automanager kürzlich. Doch im Zweifel ist den Industriellen nach wie vor die Jacke näher als die Hose.

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