: Ein Schnäppchen namens DDR
■ Aktionsgruppe Kultur Ost gegen Kulturabbau/ Treffen in der Gethsemanekirche
Prenzlauer Berg. Ein Schnäppchen namens DDR, einst billig und leicht zu haben. Nun hängt es wie ein Klotz am Bein. Jedenfalls fühlt es sich so. Denn in Bonn habe man wahrscheinlich nicht gemerkt, daß auf dem Lieferschein auch ein Völkchen von 16 Millionen dazugehörte. Und dieses mag »nicht betteln, nicht bitten«, sondern wird kämpfen, wie es vorgestern abend vom Altar der Gethsemanekirche verkündet wurde.
Unter diesem Motto hatten sich rund eintausend Menschen zu einer Aktion gegen Arbeitslosigkeit, Kulturabbau, Ausverkauf und Bevormundung versammelt. Die Tradition des Protestes gegen die Macht solle wieder aufleben wie die Montagsdemonstrationen, forderten die Initiatoren der Aktionsgruppe Kultur Ost. Schon am Montag war ein Teil der Demonstranten wieder zur Gethsemanekirche marschiert.
Musikschüler, Bibliothekare, Kulturhausmitarbeiter und viel Prenzelberger Volk protestierten gegen die irrsinnige Entscheidung von Innensenator Heckelmann, die Mittel für kommunale Kulturarbeit der Ostberliner Bezirke auf rund drei Prozent der geforderten Summen zusammenzustreichen. Das hieße, rechnete der Kulturstadtrat von Mitte vor, 1.000 Mark Honorare für jedes Kulturhaus in seinem Bezirk pro Jahr. Im Klartext: Die Häuser werden geheizt, einige Mitarbeiter bezahlt, aber sonst passiert gar nichts. Die Bibliotheken werden keine neuen Bücher kaufen können, die Musikschulen müssen 400 Unterrichtsplätze abbauen.
Irana Rusta, kulturpolitische Sprecherin der SPD, geißelte Heckelmanns Vorgehen als »verschleierte und latente Form der Abwicklung«. Auch Kultursenator Ulrich Roloff-Momin befürchtete, »wenn die kulturelle Identität auf der Strecke bleibt, geht etwas kaputt, was in zehn Jahren nicht wieder aufgebaut werden kann«. Allerdings könne er, bei einem Haushaltsloch von 260 Millionen Mark, nicht mehr tun, als sich mit den Versammelten solidarisch zu erklären.
Ein wenig Wehmut, ein wenig Hoffnung verbreiteten an diesem Abend die Künstler. »Laßt uns nicht resignieren, auch wenn wir die Verlierer sind«, rief die Sängerin Barbara Thalheim und sang ihr 89er Lied Auferstanden aus den Dogmen. Auch Toni Krahl, Sänger von City, meinte, nun könne man wieder die alten Songs herausholen und tat es mit dem einst ungeliebten »Es gibt gute Gründe, nach unten zu treten, nach oben zu beten«.
Ein bißchen weniger nostalgisches Revolutionspathos und mehr Bissigkeit würde den nächsten Protestaktionen jedoch guttun. Auch wenn Jens Reich daran erinnerte, daß damals der Aufbruch ebenfalls mit den Künstlern begann. Mit leisen Songs und poetischen Texten wird man heute wohl kaum Treuhand-Manager, Bonner und Berliner Kulturbanausen beeindrucken können. Und die einst so geschätzte Kraft des »Volkes« wird durch wehleidige Gesänge auch nicht wieder auferstehen. anbau
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen