piwik no script img

Das Gedächtnis des Wassers

Der Wissenschafts-Streit um die Homöopathie geht in eine neue Runde/ Neue Experimente des französischen Molekularbiologen Beneviste bestätigen die Wirkkraft wirkstoffloser Verdünnungen  ■ Von Mathias Bröckers

Die Sensation, mit der die Zeitschrift 'Nature‘ im Frühjahr 1988 ihre Leser verblüffte, war so perfekt, daß sie den Redakteuren des renommierten Wissenschaftsblatts selbst nicht geheuer schien: Mit einem gewundenen Vorspann, länger als der eigentliche Beitrag, leiteten sie den Forschungsbericht des französischen Molekularbiologen Jacques Beneviste ein, der mit seinen Kollegen am INSERM-Institut in Paris experimentell gezeigt hatte, daß auch tausendfach in Wasser verdünnte Substanzen chemisch-physikalische Wirkung haben können — selbst wenn durch extreme Verdünnung von der eigentlichen Substanz kein einziges Molekül mehr vorhanden ist. Sensationell schien das chemische Wunder vor allem im Hinblick auf einen Jahrhunderte währenden Medizinerstreit: Die von der Homöopathie und ihrem Begründer Dr. Samuel Hahnemann (1755-1843) behauptete Potenzierung der Wirkkraft von Heilmitteln durch Verdünnung. Nach dem Lehrsatz „similia similibus curentur“ — Gleiches wird durch Gleiches geheilt — verordnete Hahnemann etwa gegen Arsenvergiftung Arsen, in hunderttausendfacher Verdünnung. Zum Gespött seiner Zeitgenossen wie auch der modernen Schulmedizin, deren ernstzunehmende Vertreter angesichts der unübersehbaren homoöpathischen Heilerfolge allerdings längst nicht mehr von Quacksalberei und Kurpfuschertum sprechen. Vielmehr wird mittlerweile der Placebo-Effekt, der Glaube des Patienten an die Heilkraft des Medikaments, für die Wirkung der homöopathischen Mittel verantwortlich gemacht — eine Erklärung, die zweierlei leistete: Sie fand für die „geisterhaften“ Heilerfolge eine rationale Begründung und konnte gleichzeitig die Lehre der Homöopathie aus der orthoxden Medizinwissenschaft fernhalten.

Ghostbusters im Dienste der Schulmedizin

Ein Effekt, der nach Benevistes Ergebnissen nicht mehr gegeben war, und entsprechend hagelte 'Nature‘ nach der Veröffentlichung ein Sturm teilweise wüster Proteste ins Haus. So heftig, daß sich das ehrwürdige Wissenschaftsorgan genötigt sah, der ohnehin schon pingeligen Überprüfung von Veröffentlichungen durch hochrangige Gutachter eine weitere folgen zu lassen. Es sandte ein Team von „Ghostbusters“, darunter der Zauberer und Trick-Spezialist James Randi, nach Paris, um Benevistes Labor erneut unter die Lupe zu nehmen und der geisterhaften Wirkung reinen Wassers auf die Spur zu kommen. Diesmal wurden die Gutachter fündig, ihr Hauptkritikpunkt: Die Experimenteure hätten gewußt, welchen verdünnten Antikörper sie jeweils mit einem weißen Blutkörperchen reagieren ließen, und seien beim Messen der Reaktionen also befangen gewesen. Erleichtert konnte 'Nature‘ die „Geister- Moleküle“ im Juli 1988 widerrufen, Beneviste mußte um seinen Job am staatlichen Forschungsinstitut kämpfen, die Welt der „Symptomenübertünchung“, wie Hahnemann die Praxis der Schulmedizin bezeichnet hatte, war wieder in Ordnung.

Vor zwei Wochen nun hat sich der von INSERM zwischenzeitlich zum Schweigen verdonnerte Professor Beneviste zurückgemeldet. In der Zeitschrift der Französischen Akademie der Wissenschaften ('Les Comptes Rendus de l'Academien des Sciences‘) weist er die Kritik an seiner Arbeit zurück und veröffentlicht die Ergebnisse neuer Experimente, die seine Theorie bestätigen. Wegen „statistischer Ungenauigkeiten“ hatte 'Nature‘ eine Veröffentlichung des Papiers abgelehnt, auch das US- Fachblatt 'Science‘ wollte es nicht drucken. „Nicht aus substantieller Kritik, sondern aus Vorurteilen heraus“, meint Beneviste, „wir wissen, daß das Phänomen real ist und daß es etwas damit zu tun hat, wie Moleküle kommunizieren“. Wie vor drei Jahren wurde auch diesmal die Reaktion von „Basophilen“ (weißen Blutzellen) auf Lösungen von Antikörpern gemessen, die mit den Molekülen an der Zelloberfläche reagieren. Und wiederum „antworteten“ einige Zellen auch noch dann, als der Antikörper durch fortgesetzte Verdünnung gar nicht mehr vorhanden war. „Ghost molecules theory back from the dead“ meldete der 'New Scientist‘ am 16. März 1991 — und es hat den Anschein, daß es eine durchaus glorreiche Wiederauferstehung werden könnte: „Im Jahr 1988 wußten die Forscher, was in jedem Teströhrchen war...Die neuen Experimente aber wurden ,blind‘ durchgeführt, mit codierten Testreihen. Beneviste hat außerdem eine, wie er meint ,Schlüssel-Kontrolle‘ eingebaut.“ Parallel wurde eine Serie ähnlicher Antikörper getestet, die aber keine Reaktionen auf der Zelloberfläche auslösen können — die „Antworten“ der Zellen waren auch bei extrem hoher Verdünnung laut Beneviste meßbar verschieden. Den Vorwurf eines 'Nature‘-Gutachters, daß er unpassende Daten statistisch eliminiert habe, weist er scharf zurück: „Gemessen an der Anzahl und Bedeutung der Statistiker, die das Papier gesehen haben, ist es völlig unglaublich, das eine derart simple Art von Ungenauigkeit unbemerkt unterlaufen wäre.“ Im Laufe des Jahres will er neue Forschungsergebnisse bekanntmachen, die zeigen sollen, daß Lösungen von Histamin, aus denen alle Spuren dieses Gewebehormons herausverdünnt sind, den Blutfluß im Herzen von Guinea-Schweinen beeinflussen. Nach seinen Angaben, kann dieser Effekt durch schwache magnetische Felder abgestellt werden. Dies, so Beneviste, bestätige seine Idee, daß für die geisterhaften Reaktionen letztlich molekulare Magnetpole im Wasser verantwortlich seien.

Jenseits von H2O ein „Energiefeld“?

Hat Wasser ein Gedächtnis, eine Erinnerung, die von einer subtilen Energie „magnetisch“ aufgezeichnet und weitergegeben werden kann? Angesichts solcher von Beneviste aufgeworfenen Fragen wundert es kaum, daß die orthodoxe Wissenschaft auch nach den neuen Experimenten skeptisch bleibt. Nicht nur das akademische Lehrgebäude der ärztlichen Kunst, auch das milliardenschwere Geschäft der pharmazeutischen Industrie steht auf dem Spiel — der „Heuschreckenschwarm der Medicaster“ und der „erniedrigende Rezepthandel“, von dem sich Hahnemann verfemt sah, wird den potenten Geist jenseits von H2O auch heute nicht kampflos hinnehmen. Auch und gerade, weil Benevistes Befund durchaus auf der Höhe der Zeit zu sein scheint. Er liefert eine Erklärung für die rapide gestiegene Zahl von Ärzten und Heilpraktikern, die Gesundheit nicht durch Symptomunterdrückung simulieren, sondern durch ein die ganze Person umfassendes Ausbalancieren von Energiezuständen stabilisieren wollen. So unterschiedlich alternative Heilmethoden wie Akupunktur, Reflex- Zonen-Massage, Homöopathie, und viele andere, teilweise bizarr anmutende Therapieformen sein mögen — den meisten gemeinsam ist die Kenntnis einer unsichtbaren Energiestruktur des menschlichen Körpers und deren essentieller Bedeutung für Gesundheit und Wohlbefinden. Wird dieser „Energiekörper“, als korrespondierendes Double des physischen Körpers, geheilt, dann, so die Alternativ-Praktiker, heilt der physische Körper von selbst. Vor diesem Hintergrund scheinen die von Beneviste gemessenen Effekte schon viel weniger geisterhaft: Das homöopathische Mittel wirkt nicht direkt auf die Chemie des Körpers, sondern über den „Umweg“ seines Energiefeldes.

Das Wasser „erinnert“ sich nicht an die chemische Zusammensetzung, sondern an das energetische Schwingungsmuster einer Substanz, ein Muster, das bei der Verdünnung an jeden neuen Wassertropfen weitergegeben wird. Wie diese „Erinnerung“ funktionieren könnte, darauf gibt das scheinbar paradoxe homöopathische Prinzip „Gleiches mit Gleichem heilen“ einen Hinweis: Das Energiemuster der ursprünglichen Chemikalie wäre das Positiv, von dem sich im Wasser ein Abdruck, ein Negativ einprägt, das sich durch Verdünnung immer weiter vergrößert. Bei Einnahme der Medizin interferriert dieses vergrößerte Negativ (etwa der Schwingung von Arsen) mit dem Positiv, dem Schwingungsmuster der Arsenvergiftung, und führt zu einem Ausgleich im „Energiekörper“ des Patienten. Hahnemann selbst hat sich für die „scientifischen Erklärungen“, wie seine Mittel wirkten, nie sonderlich interessiert, daß sie wirkten, schien ihm der beste Beweis — er war sich indessen im Klaren, daß seine Präparate nicht direkt auf die erkrankten physischen Organe, sondern auf die Schwingungsstörungen eines vitalen Kraftfelds, die „Verstimmung der Lebenskraft“, Einfluß nahmen. Die Erklärung des Phänomens ist in den Feldern der Physik zu suchen, den Beziehungen des Körpers zu seiner fein-elektrischen Hülle, des energetischen Skeletts; unter den Gesichtspunkten der Chemie machen die wirkstofflosen Wirkungen auch dann keinen Sinn, wenn sich die Ergebnisse der Beneviste-Experimente künftig bestätigen werden. Daß es sich beim Schwingungs-Gedächtnis des Wassers (bzw. des als Lösung ebenfalls verwandten Alkohols) um keine Schnapsidee, sondern um harte Wissenschaft handelt, deutet auch eine im Frühjahr erschienene Studie von Günther Harisch und Michael Kretschmer, („Jenseits vom Milligramm“, Springer Verlag). Die Biochemiker der Tierärztlichen Hochschule Hannover stellten bei Laborratten, die mit hochverdünnten homöopathische Potenzen gefüttert wurden, deutliche Stoffwechselveränderungen fest. „Wir stehen zu unseren Ergebnissen“, so die im Homöopathie-Streit leidenschaftslosen Forscher, „aber erklären können wir sie nicht“. Ob die Traditionen (und Geschäfte) im Gesundheitswesen so schwerwiegend sind, daß die Homoöpathie auch weiterhin als Lehre gerade mal geduldet, als Gegenstand instensiver Forschung aber ungefördert bleibt, bleibt abzuwarten. Dann müßte nur der Beweis erbracht werden, daß Ratten und Guinea- Schweine eben genauso intelligent sind wie Menschen: Sie lassen sich von einem guten Magier jederzeit mit Placebo-Effekten verzaubern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen