: Schlüpferpriester und Popelgrapscher
■ »Der Glanz dieser Tage« im Eiszeit
Was ist nur los mit dem Katholizismus resp. Christentum? Da dreht ein ehemaliger Meßdiener (28) einen ins wüst Beleidigende lappenden Film mit vielen hoffnungsvoll geschmacklosen Szenen und was macht der Vatikan? Er schweigt. Noch nicht einmal ein Mini-Bistum oder eine verletzte Christenseele sah sich in der Lage, mit einer Anzeige zu kontern. Die Vertretung des guten Geschmacks blieb an Herrn Gerhard Otto Plage hängen. Herr Plage ist Spirituosenfabrikant. Empört mußte er mit ansehen, wie zwei seiner Schützlinge (der Brombeerlikör Busengrapscher und der Schlehen mit Rum-Likör Schlüpferstürmer) im Film Der Glanz dieser Tage durch den Dreck gezogen werden.
Die beanstandete Szene geht so: Als wehmütigen Liebesgruß an seine Ex-Gattin schickt ein Pfarrer seinen Obermeßdiener mit einem Fläschchen Schlüpferstürmer (0,02 l) los. Doch der Ministrant nuckelt lieber selber an der Flasche und hat prompt eine heilig-katholisch erotische Vision: An einem eigentlich dem Herrn vorbehaltenen Kreuz hängt ein Schlüpfer. Währenddessen macht der Pfarrer den Busengrapscher- Flachmann nieder. An dieser Stelle nun tritt wie gesagt nicht die katholische Kirche auf den Plan, sondern Spirituosenfabrikant Plage aus Sarstedt bei Hannover. Per »Einschreiben mit Rückschein« droht er den Filmmachwerkern eine »einstweilige Verfügung« an, falls die monierten Stellen nicht »entfernt« würden. Begründung: »In den Szenen werden die Produkte derart deformiert, daß wir der Ausstrahlung nicht zustimmen können.« Wenzel Storch (Regisseur, Produzent, Darsteller, Ex-Meßdiener etc.) entschloß sich gottlob, die deformierten Produkte weiterhin in Kinosälen auszustrahlen, aber Plage nahm leider Abstand von der Absicht, einen Prozeß anzustrengen. Ewig schade drum.
Neben Busengrapscher und Schlüpferstürmer hat Filmdebütant Storch noch andere Kostbarkeiten deutschen Lebens anzubieten: Caro-Kaffee, Tapeten mit Herzchenmuster, rosa Hosen mit Schlag, selbstgestrickte Kopfbedeckungen der Marke »Topflappen«, Smarties, Stoffrösche, Schützenfestumzüge, Augsburger Puppenkiste und altvertraute Weisheiten aus der Fernsehkindheit: »Ewig ist nicht alle Tage, ich komm wieder, keine Frage« - so der frischgeweihte Pfarrer zur Ex-Gattin.
Wenzel Storch arbeitet mit Der Glanz dieser Tage nicht nur seine TV-Vergangenheit auf, sondern verwurstet auch seine Erfahrungen als Meßdiener. Im Mittelpunkt steht ein Ehemann im fortgeschrittenen Wampenalter, der sich unbedingt für zwölf zölibatäre Jahre verpflichten will. Die locker bis nachlässig erzählten Abenteuer des Pfarrers mit abschließendem happy end (Rückkehr ins traute Lotterheim) werden in einer Tour von Trickfilmsequenzen, Realsatiren, Werbungseinschüben, Musikvideoclips (Schweine im Weltall, Die fliegenden Unterhosen) oder von etwas ganz anderem unterbrochen. Das gibt Regisseur Storch die Gelegenheit, uns in die wunderbare Mysterienwelt des Glaubens einzuführen. Wir machen ebenso Bekanntschaft mit der im Vatikan befindlichen größten Popelsammlung der Welt wie mit der wirkungsvollen Glaubenssalbe: »Seit ich Glaubenssalbe nehme, glaub ich einfach alles«.
Verschiedene Kollegen aus der Filmkritikerabteilung haben Wenzel Storch mit Herbert Achternbusch verglichen wg. anarchischer Blasphemie etc. Gegen diesen Vorwurf muß man Storch natürlich in Schutz nehmen. Achternbusch ist langweilig und winkt mit Weltschmerz und Bedeutung. Storch ist komisch und jenseits von Kunst und Anspruch. Am ersten Drehtag z.B. wußte niemand aus dem Filmteam, wie man die Schärfe an der Super-8-Kamera einstellt. Das größte Problem war allerdings das Geld. Die Ausstattung besorgte man sich aus Müllcontainern und von Schrottplätzen, wodurch eine größtmögliche Konzentration von trash gelang. Storch: »So ist das Gewand des Obermeßdieners ein Matrazenbezug vom Sperrmüll, die meisten Pfeifen der Orgel sind alte Klo- und Kanalisationsrohre usw. Im künstlichen Arm des Pfarrers, aus dem nach der Hand-ab-Szene das Blut spritzt, befand sich eine mit Hundefutter gefüllte Damenstrumpfhose.« Während junge, kreative Menschen dabei waren, das Kino neu zu erfinden, setzte die Stadt Hildesheim alles daran, den schöpferischen Prozeß zu zerstören: »Das Haus, in dem wir die meisten Kulissen stehen hatten und in dem auch Teile des Teams wohnten, wurde damals übrigens in einer Hildesheimer Wochenzeitung in einer Titelgeschichte als Schandfleck der Stadt verteufelt, da sich im Umkreis des Hauses Unmengen Bierflaschen und Kräuterlikörflaschen ansammelten, mit der Folge, daß die Stadt Hildesheim das Haus kaufte und abriß.« (Wenzel Storch über das Kino und das Leben in Howl).
Trotz vieler weiterer Sabotageversuche (Schlampereien im Kopierwerk, brennende Kulissen) gelangte der Hildesheimer Christenkiste-Heimat-Splatter-D-Movie in die Kinos (göttliche oder satanische Fügung?). Mehr noch: die »postpubertäre Idiotie eines rotznäsigen Pseudofilmers, der uns seine Hirnrissigkeiten auch noch als Gegenkunst verkaufen will« (Westfälische Nachrichten) wird fortgesetzt. Storchs nächstes Projekt: Sommer der Liebe - ein Film über lange Haare und darüber, wie Charles Manson einmal zum Priester wurde. Volker Gunske
Ab sofort in Eiszeit und Brotfabrik
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