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Wende im Fall Ustica-Ramstein

Ein Dokument belegt Luftwaffenmanöver am Tag des DC-9-Absturzes bei Ustica/ Fremdpartikel in Überresten der DC-9 entdeckt/ Liste der am Unglückstag eingesetzten Piloten verschwand nach dem Tod der beiden Ramstein-Flieger/ Die Frage nach dem möglichen Wissen der Unglückspiloten rückt erneut ins Blickfeld  ■ Aus Rom Werner Raith

Hätten dem Ereignis nicht so wenige Zuschauer beigewohnt, es wäre wohl nicht nur zu einem Raunen, sondern zu einem kräftigen Überraschungsgeschrei gekommen: Während der Sitzungen der italienischen Parlamentskommission zur Untersuchung der unaufgeklärten Attentate kam es zu einer entscheidenden Wende hinsichtlich des Absturzes einer DC-9-Linienmaschine im Juni 1980 — ein Absturz, der Ausgangspunkt für die von der taz und mittlerweile auch anderen Medien formulierten Zweifel an der offiziellen Version über den Zusammenstoß während der Vorführung der italienischen Kunstflugstaffel „Frecce tricolore“ im August 1988 mit 70 Toten und mehreren hundert Verletzten war. Elf Jahre nachdem die DC-9 am Abend des 26. Juni 1980 nahe der Mittelmeerinsel Ustica vom Himmel fiel und 81 Menschen starben, wird die Beweislage nun nicht mehr nur durch journalistische Recherchen, sondern auch gerichtsverwertbar durch offizielle Dokumente sozusagen vom Kopf auf die Füße gestellt. Zwei Erkenntnisse sind seither nicht mehr wegzuwischen:

Erstens: daß die DC-9 weder durch einen Maschinenschaden noch durch eine Explosion im Inneren abstürzte, sondern von außen her geschädigt wurde. Neue Untersuchungen der nach dem Unglück geborgenen Gegenstände haben z.B. im Gewebe einer Handtasche Metallsplitter zutage gefördert, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Rakete stammen. Außerdem erwies sich eine in der Pilotenkabine entdeckte Schwärzung als Folge eines kleinen Feuers, das nach Meinung der von den Untersuchungsbehörden eingesetzten Experten von einem Kurzschluß herrührt — und der könne ausschließlich durch einen von außen in das Flugzeug eingedrungenen Körper verursacht worden sein.

Zweitens: Das, was dem Fall eine noch weiterreichede Wende gibt, ist in einem Schriftstück enthalten, das das Kommissionsmitglied Sergio De Julio vorwies. Das Dokument, dem Geheimdienst der Streitkräfte (Sios) entwunden, warnt alle Zivilflugzeuge davor, am 27. Juni 1980 von frühmorgens bis eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang ein bestimmtes Gebiet um Sizilien herum (und damit auch jene Stelle, wo gegen 21 Uhr die DC-9 abstürzte) zu befliegen — offizielles Kürzel „NOTAM“. Der angegebene Grund: „intensiver militärischer Flugverkehr“. Ein Knaller, der die bisher hartnäckig von den Militärs wie von den seinerzeit verantwortlichen Regierungsmitgliedern verteidigte Version widerlegt, es habe „in der Stunde des Absturzes keinerlei militärische Flugbewegungen gegeben“ (so Generalstabschef Pisano bei seinem Abschlußbericht im Mai 1989). „Alle Flugzeuge sind am Boden, alle Raketen in den Depots gewesen“, hatten die vor den Untersuchungsrichtern und der Parlamentskommission aufmarschierten Geheimdienstler unisono behauptet.

Nachdem nun auch dieses offizielle Dokument beweist, daß Manöver zur Zeit des Unglücksfluges stattfanden, rücken die Zeugenaussagen all jener wieder in den Mittelpunkt, die im zeitlichen und räumlichen Umkreis des Unglücks in der Luft waren. Doch leider haben hier Spurenverwischer offenbar eine recht ordentliche Arbeit geleistet. In nahezu allen militärischen Radarleitstellen Italiens fielen, aus angeblich unterschiedlichen Gründen (Auswechseln der Diskette, des Aufzeichnungsbandes, Eiern oder Totalausfall des Tonbandgeräts) die Aufzeichnungsinstrumente aus, und wo dies nicht der Fall war, wurden wichtige Stellen versehentlich nachträglich gelöscht. Mehr noch: Auch die Flug- und Radarlisten des 27. Juni erwiesen sich als unvollständig, teilweise nachträglich manipuliert. Nur sehr mühsam erfuhren die Ermittler die Namen von Piloten, die damals tatsächlich geflogen waren.

Eine Flugliste beweist: Unter ihnen befanden sich zwei der drei Piloten, die dann 1988 bei der Vorführung des „Frecce tricolore“ in Ramstein umkamen: Nutarelli und Naldini. Die Liste des Stützpunktes Grosseto nördlich von Rom liegt dem Untersuchungsrichter vor und wird mittlerweile von Zeitungen wie 'il manifesto‘ und 'Corriere della sera‘ zitiert. Nutarelli und Naldini saßen in einem der drei dort aufgestiegenen T-104-Flugzeuge und sind ausweislich der Liste eine knappe Viertelstunde vor dem Unfall wieder gelandet: Auch wenn sie den mutmaßlichen Abschuß nicht selbst gesehen haben, ja selbst vielleicht nur einen Übungsflug unternommen hatten (die T-104 ist vorwiegend ein Trainer), hätten sie zumindest über zweierlei wesentliche Aussagen machen können. Erstens, daß es tatsächlich, im Gegensatz zur rabiat aufrecht erhaltenen Behauptung der militärischen Führung, dichten Luftwaffenbetrieb gegeben hatte — und eine solche Erklärung hätte faktisch das gesamte Lügengebäude der Vernebler auf einen Schlag zusammenbrechen lassen. Und zweitens hätten sie sich zumindest auch teilweise daran erinnnern können, wer da seinerzeit alles herumgeflogen war, welche Kollegen, welche Maschinen, welche Nationalitäten. Da zumindest einer der in Grosseto diensthabenden Radarlotsen, der sieben Jahre später erhängt aufgefundene Alberto Dettori, unmittelbar nach dem DC-9-Desaster in höchste Aufregung geriet und von einem „fast ausgebrochenen Krieg“ (so seine Frau und seine Schwägerin) sprach, ist weiterhin anzunehmen, daß sich die Kunde vom möglichen Abschuß schon wenige Minuten nach dem Unglück auch bei den Piloten herumsprach, so daß sich jeder aufgrund dessen, was er wußte, seinen Reim machen konnte. Dies besagen wiederum vom seit Mitte 1990 federführenden Untersuchungsrichter Rosario Priore eingeholte Zeugenaussagen.

Die neuesten Erkenntnisse der Ermittler haben nun ergeben, daß sowohl der Name des dann erhängten Lotsen (der sich in seinen letzten Jahren vor allem seit einer Versetzung nach Frankreich ständig verfolgt gefühlt und darum einen Psychiater aufgesucht hatte) als auch die Flugspuren der T-104 aus dem Radarregister von Grosseto getilgt worden waren. Noch erstaunlicher: Zwar hatte der bis 1990 leitende Untersuchungsrichter Bucarelli die vom Militärkommando geführte Liste eingesetzter Piloten just 14 Tage vor der Ramstein-Tragödie konfiszieren lassen, um alle damaligen Flieger vorladen zu können — doch dann verschwand die Liste nach dem Tod der beiden Piloten plötzlich wieder aus den Akten, obwohl es darauf auch noch andere Namen von Fliegern gegeben hatte. Eine Kopie davon tauchte Anfang Dezember wieder auf. Wie sicher sich die militärischen Spurenverwischer nach dem Tod Nutarellis und Naldinis wieder fühlten und wie selbstverständlich sie davon ausgingen, daß auch die damaligen Ermittler mitspielen würden, zeigt die Tatsache, daß General Pisano ein halbes Jahr nach Ramstein trotz der ihm natürlich bekannten Beschlagnahmung der Grosseto-Liste durch den damaligen Untersuchungsführer in seinem Abschlußbericht noch immer unerschütterlich behauptete, zur Absturzstunde sei überhaupt kein einziges Militärflugzeug in der Luft gewesen, weder ein italienisches noch eines der Nato.

Nun hat es im Umfeld des Ustica- Desasters schon eine auffällig hohe Zahl vorzeitig verstorbener möglicher oder tatsächlicher Zeugen gegeben. Der Vorgesetzte Dettoris starb pumperlgesund am Herzinfarkt, der Kommandant der Base mit seiner ganzen Familie bei einem Verkehrsunfall auf gerader Straße. Der bei der Bergung und Auslieferung einer gleichzeitig mit der DC-9 abgestürzten lybischen MIG-23 eingesetzte Unteroffizier Zammarelli wurde angeblich von einem Motorrad totgefahren, dessen Fahrer ebenfalls starben — wobei das Fehlen jeder äußeren Verletzungen den Verdacht erweckt, er sei womöglich nicht durch das Gefährt umgekommen, sondern anderweitig. Da eine Autopsie nicht gemacht, einfach Genickbruch unterstellt wurde, hat Untersuchungsrichter Priore den Fall zur möglichen erneuten Untersuchung herangezogen. Dazu kommt, daß die gleich nach dem Unglück als Fälscher und Vernebler tätig gewordenen Geheimdienstler (ein Großteil des parlamentarischen Kommissionberichtes ist dem gewidmet) von Männern der überaus gefährlichen illegalen Geheimloge „Propaganda 2“ geleitet wurden, von der hohe Offiziere bereits wegen Verwicklungen in Mordfälle und Attentate zu langen Strafen verurteilt wurden.

Woraus unschwer die Forderung nach einer Klärung abzuleiten ist, die wir schon allein den Opfern der Ramstein-Katastrophe schulden: die bisher allzu selbstverständlich akzeptierte offizielle Version eines reinen Pilotenfehlers durch den Solisten Nutarelli sollte dringendst einer neuen, kritischeren Untersuchung unterworfen werden. Die für die öffentliche Sicherheit zuständigen Stellen tun dies bisher nicht. Die territorial kompetente Staatsanwaltschaft Zweibrücken hat zwar aufgrund der ersten taz-Artikel (s. taz vom 25.1. und 16.3.91) — erst dann, zweieinhalb Jahre nach dem Unfall! — die bis heute noch nicht eingelaufenen strafrechtlichen Abschlußergebnisse der nach Nato-Statut an Italien gegangenen Hauptermittlungen angefordert, verbreitet jedoch mittlerweile eifrig, man könne sich ja damit bescheiden, daß die Italiener als Konklusion einfach zwei Sätze des Inhalts „Wir haben nix herausgefunden“ abgeben. Solange sich an dieser Haltung nichts ändert, bleibt wohl nichts anderes, als daß die Presse so lange und so laut danach ruft, bis auch der letzte Zweifel an der von den Behörden gegebenen Darstellung ausgeräumt — oder diese zugunsten einer glaubwürdigeren ersetzt ist.

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